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Melville

Melville

Titel: Melville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Elter
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noch ein wirklich herzloses und raffgieriges
Finanzfeld, die Versicherungsbranche.

    Nach
nur wenigen Stunden höre ich Jonathan aus seinem Schlafzimmer. Er
ruft leise nach mir und sofort setze ich mich in Bewegung. Schwer
hängen seine Augenlider und er wirkt noch nicht ausgeruht, aber er
lächelt mir entgegen und sagt
    „Schön,
dass du noch da bist.“.
    „Natürlich,
Jonathan, noch habe ich dich ja nicht genug genervt.“ und ich will
mich gerade wieder zu ihm setzen, da sagt er
    „Bevor
du dich hier festredest, könntest du mir die Schmerzmittel aus dem
Wohnzimmer bringen… und etwas Wasser zum Runterspülen?“.
    „Wie
heißen die Tabletten denn?“.
    „Keine
Ahnung, das sind so grün-gelbe Kapseln. Bring einfach zwei mit,
okay?“.
    „Ja
gut, mach ich.“ und tue worum er mich bittet.
    Ich
setze mich zu ihm, helfe ihm sich aufzurichten und lege ihm dann die
zwei Kapseln in die Hand. Er tut sich etwas schwer beim
Herunterschlucken, aber er schafft es schließlich. Während ich das
Glas auf seinen Nachttisch stelle, sagt er
    „Komisch,
früher hab ich so Zeug gierig eingeschmissen, was die Pharmazie
hergab. Jetzt würde ich gerne damit aufhören.“ und legt sich
entkräftet wieder auf die Seite.
    „Ich
habe dir ein Bett im Krankenhaus organisiert.“. Er sieht mich mit
erschrockenen Augen an, aber lange kann er diese Geste vor
Anstrengung nicht aufrecht halten.
    „Ich
habe keine Krankenversicherung, Melville.“.
    „Du
brauchst keine, da bekommst du eh nur Mist angedreht. Du bist
Privatpatient.“. Er schließt die Augen, aber greift nach meiner
Hand.
    „Du
musst das nicht tun, Melville, wirklich. Lange dauert es doch nicht
mehr.“.
    „Gerade
deswegen. Und jetzt schlaf.“, sage ich vehement.
    „Zu
Befehl, kleiner Bruder. Danke.“.
    „Gern
geschehen.“. Und ich streichle noch ein wenig seine Hand, die
Wunden von den Venenzugängen der vergangenen Wochen am Handrücken
zeigt. Sie verheilen nicht mehr richtig und kurz denke ich darüber
nach, dass ich ja mit meinem Blut, nur ein klein wenig, sein Leid
auch beenden könnte. Doch was wäre dann? Dann wäre er mein Ghul,
mein von mir abhängiger Bruder, kein Individuum mehr, sondern nur
eine dienstbare Hülle. Und bei seinem fortgeschrittenen
Krankheitsstadium wäre eine einmalige Gabe sicher nicht ausreichend.
Das will ich nicht, nein, das nicht. Aber ich wundere mich ein wenig
über meine Hilfsbereitschaft, als wäre dass alles hier außerhalb
meiner normalen Welt. Außerhalb meiner Wertevorstellung. Es ist
einfach… anders.
    Bald
wird die Sonne aufgehen und ich muss noch im Hotel einchecken. Die
Reise wird wohl auch länger dauern als angenommen und ich muss alles
Nötige in die Wege leiten. Ich hinterlasse Jonathan eine Notiz neben
seinen Medikamenten, denn die wird er sicherlich brauchen.

    Bin
am Abend wieder zurück. Das Krankenhaus wird dir gegen Mittag einen
Wagen schicken und die Pflegekräfte werden sich dann um dich
kümmern. Keine Sorge, du musst sie nicht bezahlen, das ist alles
abgeklärt. Lass dich einfach umsorgen.

    Wir
sehen uns dann.

    Mel

    Um
kurz nach vier verlasse ich seine Wohnung und rufe mir ein Taxi. Ich
kann nur hoffen, dass meine Planung so ausgeführt wird, wie ich es
erwarte, aber für diese Geldsummen erlaube ich keine Fehler.

    Ich
trete in den hellausgeleuchteten und nach Desinfektionsmittel
riechenden Betonkasten. Ein fürchterlicher Bau, dessen Design ganz
in die Bausündenphase der Achtziger passt. Doch hier wird man sich
angemessen um ihn kümmern. Ich frage an der Rezeption der Onkologie
nach meinem Bruder und gebe auch deutlich zu verstehen, dass ich der
namentlich hinterlegte Finanzier bin. Somit scheint sich die
Schwester auch die Frage zu verkneifen, warum ich noch so spät
anwesend bin. Die Krankenschwester führt mich dann zu ihm. Ein
Einzelzimmer ganz in der Nähe des Pflegepersonals, eindeutig ein
Zeichen dafür, dass Geld dazu führen kann, selbst im Sozialsystem
bevorzugt behandelt zu werden. Aber wo ist das nicht so?
    Sie
öffnet die bettgroße Tür für mich und sofort sehe ich Jonathan,
wie er aufrecht sitzt, Fernsehen sieht und einen Pudding löffelt. Es
freut mich tatsächlich, ihn so zu sehen. Als er mich bemerkt und die
Krankenschwester sich sicher sein kann, dass er meine Anwesenheit
akzeptiert, lässt sie uns allein.
    „Na,
wieder so spät?“, fragt er. Ich sehe den Infusionsbeutel an einem
Ständer neben dem Bett und die selbstauslösbare Pumpe an seiner
Seite. Wenn einem ein

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