Melville
Krankenhaus die Wahl zur Schmerzmittelgabe
lässt, ist es meist ein Zeichen dafür, dass es ernst ist. Aber das
wusste ich ja gestern schon.
„Ja,
so bin ich halt. Ein Nachtmensch.“.
„Das
passiert wohl, wenn ein Engländer sich dazu entscheidet Deutscher zu
werden.“, er kichert leise und murmelt erneut
„… Deutscher…“.
Dann löffelt er den letzten Rest aus seinem Becher und stellt ihn
auf ein bereitgestelltes Tischchen.
„Sind
sie gut zu dir? Geht es dir besser?“, frage ich, um einer
Diskussion über den ewigen Zwist zwischen Deutschland und England zu
vermeiden.
„Die
haben mich mit einer Bahre rausgetragen und sofort mit allem
Möglichen vollgepumpt. Nährstoffe, Mittel gegen Übelkeit,
Schmerzmittel, Zeug gegen die Nebenwirkungen der Schmerzmittel und so
weiter. Ich glaube, ich bin high, aber was solls. Ja, ich fühle mich
besser. Sogar der Chefarzt war da und hat mich persönlich
untersucht. Das muss dich echt alles eine Stange Geld kosten.“.
„Vergiss
das doch endlich.“, antworte ich und greife nach der Fernbedienung,
um den Fernseher auszuschalten. Ich greife mir einen Stuhl und setze
mich zu ihm.
„Ich
bin neugierig, was trieb dich nach Deutschland, hmm? Die Liebe?“.
„Ja,
kann man so sagen.“. Wohl nur nicht ganz so, wie er es denkt.
„Hui,
bin ich schon Onkel?“, fragt er plötzlich freudig grinsend.
„Nein,
Jonathan und das wird auch nicht passieren.“.
„Bist
du unfruchtbar? Oder…“ er blickt auf meinen Schritt und dann
wieder in mein Gesicht, nur um schließlich schelmisch zu lachen. Ja,
er wirkt etwas von den Drogen benebelt, aber lieber so, als dass er
vor Schmerzen nicht denken kann.
„Wir
wollen keine Kinder.“, lüge ich ihn an. Es ist einfacher als über
mein Single Dasein zu reden.
„Ach,
warum denn nicht?“.
„Ich
habe nicht besonders gute Erfahrungen mit dem Kind-Sein gesammelt. Da
brauche ich kein Eigenes.“. Er nickt, beißt etwas auf seine
Unterlippe, aber schweigt. Ich frage dann
„Was
hast du so getrieben, nachdem…“.
„Nachdem
Vater sich umgebracht hat?“.
„Ja.“.
„Naja,
die Firma war dahin, das ganze private Geld ging an den neuen Eigner.
So ein Scheiß, kann ich dir sagen. Plötzlich war alles so anders
und du bist Jahre vorher schon von der Bildfläche verschwunden.
Warum eigentlich?“.
„Hat
dir Vater das nie erzählt?“.
„Nein,
was denn?“. Ich sehe ihn an und überlege, ob so ein Gespräch
jetzt ratsam ist. Aber er wirkt recht stabil.
„Ich
wollte auch in der Firma arbeiten, aber er meinte, wenn du deinen
Abschluss machst und in die Firma kommst, ist kein Platz für mich.“.
Er sieht mich mit großen, überraschten Augen an.
„Echt?
Das hat er gesagt?“.
„Ja,
sehr deutlich, glaube mir.“.
„Er
konnte schon ein Arschloch sein, was?“.
„Ja,
das konnte er.“. Ich falte die Hände ein wenig und blicke zu
Boden. Ich weiß nicht, was ich jetzt noch sagen könnte und lausche
einfach ein wenig seinem Tropf und den leisen Geräuschen der
arbeitenden Krankenschwestern vor der Tür.
„Weißt
du, ich habe damals öfters beim Vertrauenslehrer angerufen, einmal
sogar bei der Polizei, aber niemand wollte helfen. Sie meinten, dass
ich übertreibe und dass ein Vater einfach manchmal Dinge tun muss,
damit freche Söhne gehorchen.“. Ich sehe wieder auf, ich bin etwas
überrascht von diesem tiefgehenden Gesprächsthema, doch ich werde
sicher so bald nicht wieder darüber reden können.
„Manchmal
frage ich mich, wie es wohl gewesen wäre, wenn Mutter nicht
gestorben wäre.“, sage ich leise.
„Ich
denke, Vater hat sie sehr vermisst. Einige Male habe ich ihn weinen
gehört und einmal habe ich ihn in seinem Schlafzimmer gesehen, wie
er ihr Brautkleid in den Armen hielt. Er war ein einsamer Mann.“.
„Er
war vor allem ein wütender Mann.“.
„Ich
glaube, dass das eine mit dem anderen durchaus zusammenhängt,
Melville. Aber es ist natürlich keine Entschuldigung dafür, was er
dir angetan hat.“.
„Nein,
gewiss nicht.“. Wir schweigen dann beide wieder und er drückt kurz
auf den Auslöseknopf der Pumpe und verschafft sich etwas Erlösung.
„Aber
zum Glück bist du ja trotzdem ein anständiger Kerl geworden.“.
Wenn er wüsste.
„Weniger
als du glaubst.“.
„Ach,
ich weiß nicht, du bist doch ganz drollig. Ein wenig dürr
vielleicht, aber deine Frau wird sich freuen, wenn du endlich wieder
zurück bist.“.
„Ja,
das wird sie wohl.“, sage ich noch leiser.
„Ich
hätte gerne Kinder
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