Melville
mir frech zu und
kichert leise. Und ich muss erkennen, dass es Küken anscheinend
durchaus erlaubt ist, an solchen Festen teilzuhaben.
„Ich
war beschäftigt, mein Erzeuger legt sehr viel Wert auf meine
qualitativ hochwertige Ausbildung.”. Er verzieht kurz die
Augenbrauen und deutet seiner Sitznachbarin an, dass ich wohl ein
abgehobener Snob bin. Aber mir ist diese Annahme lieber, als dass sie
merken, dass ich offiziell nie eingeladen wurde. Jedenfalls hat
Benedict mich nicht informiert. Und ich greife wieder nach meinem
Stift und arbeite weiter. Es gibt viele Daten abzugleichen und zu
optimieren. Und seit ich vor über einem halben Jahr meinen
Zweitberuf angenommen habe, gibt es immer wieder viele
Stunden nachzuholen.
„Bin
ich dir peinlich, Benedict?”. Wir sitzen gerade im Wagen auf dem
Weg nach Hause. Er wirkt etwas abgekämpft, anscheinend hatte er
einen schweren Tag im Büro. Trotzdem muss ich ihn das fragen.
„Warum
solltest du mir peinlich sein? Dein Ruf ist doch der Beste für
deinen Stand.”, deutlich höre ich diesen leicht säuerlichen
Unterton.
„Ich
habe heute erfahren, dass es mehrere große Feste innerhalb der
Domäne gibt, an denen Küken auch teilnehmen dürfen... Silvester
zum Beispiel.”.
„Ich
gebe nicht viel um solche sozialen Interaktionen zwischen den Clans.
Ich wüsste nicht, wie einem das direkt weiterhelfen soll. Ich selber
bin nur alle paar Jahre auf solchen Veranstaltungen.”.
„Ich
verstehe... also ist es nicht wegen mir?”. Er atmet kurz genervt
aus und sagt
„Nein,
Melville, es ist nicht wegen dir. Reicht dir das jetzt als Antwort?”.
„Verzeihung.“,
sage ich nur kleinlaut und bin lieber wieder stumm. Die Beziehung
zwischen uns hat sich gewaltig gewandelt, kein Vergleich zu der Ruhe
und Hingabe, als ich noch ein Ghul war.
„Wann
musst du morgen in deinen
Räumen sein?“, hakt er nach.
„Spätestens
um Mitternacht.”.
„Gut,
dann werde ich im Clanshaus Meldung machen, dass du wohl die ganze
Nacht ausfällst.”.
„Danke,
Benedict.”. Er sieht nur stur aus dem Fenster und spricht den Rest
der Fahrt kein Wort mehr mit mir.
Die
Schmerzen, die ich meinem Opfer heute zuführe, sind besonders
perfide. Ich bin dazu übergegangen, ihnen nicht mehr die Sicht zu
nehmen, damit sie schon allein bei dem Anblick mancher Instrumente
vor Angst zusammenbrechen. Ich entkleide sie vollkommen und lege sie
gefesselt auf den Seziertisch. So ist es bedeutend einfacher und ich
habe mehr zur Verfügung, als ihnen immer nur das Gesicht zu
zerstören und ihren Leib zu prügeln. Allesamt Menschen oder
Dünnblütige. Kainiten die sich soweit durch fortlaufende Generation
verändert haben, dass ihr Blut keine Kraft mehr hat. Mehr Mensch als
Untoter. Eine Schande für uns alle. Niemand vermisst sie, doch ihre
verbesserte Selbstheilung, im Vergleich zu Menschen natürlich,
erlaubt mir ein umfassenderes Spiel. So wie heute Nacht.
Heute
ist es meine Aufgabe herauszufinden, wer der Anführer dieser
verwahrlosten Hippies ist, die sich seit neuestem in einer illegalen
Wagenburg in der Nähe von London aufhalten. Doch erst bin ich an der
Reihe, bevor ich überhaupt mit dem Fragen anfange. Ich weiß nicht
genau warum, aber ich bin wütend und zornig. Emotionen, die mich
dazu verleiten, es gröber zu handhaben,
als es vielleicht wirklich nötig ist. Und ich frage diesmal auch
nicht vorher nach, was am Ende mit diesem Etwas passieren
soll. Bis jetzt hatte ich noch nie jemanden bei mir, dessen Existenz
auch noch nach dem Verhör erwünscht war. Zum Glück kann ich mich
anfänglich soweit zügeln, dass ich noch den Namen und
Aufenthaltsort des Anführers aus ihm heraus quetschen kann, bevor er
dazu nicht mehr in der Lage ist. Und ich lerne noch eine interessante
Sache heute Nacht. Dünnblütige zerfallen nicht immer zu Asche wie
wir. Manche sind soweit verwässert, dass sie sterben wie Menschen.
Wieder
muss ich meinen Taten Tribut zollen, wieder sind es einige Minuten
weniger, die mir in meiner Wachzeit verbleiben. Da ich aufgrund
meiner, auch für mich, wirklich grausamen Folter, schon mit einer
derartigen Reaktion gerechnet habe, liege ich diesmal aber früh
genug im Bett.
Ich
erhebe mich wieder, diesmal ist Benedict nicht bei mir, um sich über
den Grund meiner Verspätung zu informieren. Ich gehe ins Bad und
fühle leicht das Grollen in mir. Das Aufbegehren eines inneren
Wesens, das ich aber noch beschwichtigen kann. Wieder und wieder
schießen mir auf meinem Weg die Bilder von
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