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Melville

Melville

Titel: Melville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Elter
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Auslöschung meines bewussten Handelns. Und dieses Gefühl
macht mir Angst, sehr große Angst. Ich fühle es immer wieder,
jetzt, seitdem meine Veränderung sogar äußerlich sichtbar ist.
Eine Abwärtsspirale, nicht nur für meine Opfer. Und irgendwo, im
Hintergrund meiner Gedanken, misstraue ich Rufus und seiner
freundlichen Art, mich zu fördern und gleichzeitig zu fordern.
    Es
regt sich zwar immer Widerstand in mir, wenn ich versuche, mir über
die Beziehung zu Benedict Gedanken zu machen, aber es gibt keine
andere Lösung, als mich ihm zu offenbaren. Und ich tue es, wie
damals bei meinem Vater auch schon. Ich bitte ihn, um einen
offiziellen Termin, damit ich mir seiner Zeit und seiner
Aufmerksamkeit sicher sein kann. Und ganz Geschäftsmann wie er ist,
bestätigt er den Termin auf dem gleichen elektronischen Weg, wie ich
ihn angefragt habe. Als Anmerkung hat er aber sein Haus als Ort des
Termins angegeben. Wohl auch, um mögliche Zeugen auszuschließen...
er rechnet damit, dass es hässlich werden könnte. Doch das habe ich
nicht vor. Aber ich kenne seine Planung ja nicht und ich fürchte,
dass es dramatischer werden könnte als es mir lieb ist.

    Er
holt mich früher vom Clanshaus ab, wie vereinbart, aber wir reden
kein Wort. Schweigend geht sicher jeder innerlich seine folgenden
Argumente durch, passend zu jeder erdenklichen Diskussionssituation,
die sich bieten könnte. Ich beschließe ihn darum zu bitten, erst
frei reden zu dürfen. Meine Angelegenheit vorzutragen und meine
Situation zu erörtern und ich hoffe inständig, dass ich dabei nicht
noch mehr Aussagen treffe, die ihn im Grunde noch weiter von mir fort
treiben.

    Ich
gehe hinunter in das Wohnzimmer, etwas früher als vereinbart, aber
ich kann nicht warten. Ich sehe ihn nicht gleich, aber vernehme
Geräusche aus der Küche. Ich trete in den Türrahmen und sehe, wie
er sich mit gebeugter Haltung auf der Arbeitsplatte abstützt, den
Kopf tief hängen lässt und leise zu sich selbst spricht. Das
geleerte Glas Blut neben ihm deutet darauf hin, dass er sich stärken
musste. Stärken für mich. Ich bedauere diesen Umstand sehr, doch
genau diese emotionale Fehlstellung versuche ich jetzt wieder
auszugleichen. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer, möchte ihm nicht
zeigen, dass ich ihn gerade so gesehen habe. Ich setze mich auf die
Couch, es soll eine vertraute Situation sein, kein distanziertes
Verhandeln, wie es am Besprechungstisch wäre. Kein Tisch der uns
separiert, kein Zwangsabstand, der uns daran hindern könnte, offen
zu reden. Ich setze mich auf das größere der beiden Sofas, in der
Hoffnung, er möge sich vielleicht zu mir setzen. Doch ich bin
realistisch genug, um es beim Hoffen zu belassen.
    Benedict
kommt in den Raum, den Blick fest Richtung großen Holztisch gewandt,
dreht er seinen Kopf dann etwas verwundert zu mir.
    „Benedict,
danke für deine Zeit.“, sage ich und erhebe mich respektvoll. Er
geht auf mich zu und nimmt auf der Einsitzercouch Platz.
    „Wie
könnte ich zu so einem Termin ‘Nein’ sagen, Melville?”, ich
spüre deutlich, dass er eine Fassade trägt, ein Schutzwall aus
leicht spottendem Ton und wohldosierten ironischen Worten.
    „Benedict,
es ist wirklich wichtig für mich, mich mit dir auszusprechen...
ich...”.
    „Du
wirst bald Neonatus, im Grunde gibt es nichts zu besprechen. Du musst
dich nicht mehr mit mir abgeben oder auf meine Worte groß achten.
Meine Erziehung ist somit beendet.”. Ich sehe ihn offen an,
versuche zu erkennen, ob mehr in ihm ist, als nur Spott und
Ablehnung. Doch ich erkenne es zu meiner Verzweiflung nicht. Ich lege
meine Hände ineinander und beginne sie unbewusst immer wieder zu
falten und zu verschränken.
    „Gerade
diese kurze Frist macht mir zu schaffen, Benedict. Ich fühle mich
nicht bereit.”, er lacht kurz.
    „Das
habe ich noch von keinem Küken gehört. Bis jetzt hat sich jeder von
ihnen gefreut, endlich auf eigene Verantwortung zu existieren.”.
    „Ich
weiß nicht genau, wie ich es sagen soll, Benedict...“, ich seufze
kurz leise. Er beugt sich leicht nach vorn und geht aus seiner
abwehrenden Haltung etwas heraus.
    „Sag
doch einfach, worum es dir geht. Willst du deine Finanztätigkeit
niederlegen und dich nur noch ganz diesen... diesen Verhören widmen?
Dann bin ich der falsche Ansprechpartner!”.
    „Nein,
nein ganz und gar nicht. Es ist eher andersherum. Ich fühle... fühle
diese innere Kälte, wie sie nach mir greift, meinen Verstand mit
Forderungen erstickt, die ich nicht

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