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Melvin, mein Hund und die russischen Gurken

Melvin, mein Hund und die russischen Gurken

Titel: Melvin, mein Hund und die russischen Gurken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Roeder
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barfuß.
    Keine Ahnung, wie ich hier je wieder wegkommen soll.
    Es klopft an der Badezimmertür. »Kann ich reinkommen?«, fragt eine Männerstimme.
    »Meinetwegen.« Was soll ich auch sonst sagen? Erwachsene machen eh, was sie wollen, egal, was du davon hältst.
    Es ist der Pfarrer. Bestimmt hat seine Tochter ihn geholt, weil sie Angst vor dem Verrückten im Bad hat. Bestimmt ist er wütend, weil ich sie mit Sachen beworfen habe, aber sein Gesicht bleibt ganz ruhig. Er sieht sich in dem zertrümmerten Bad um, dann sieht er mich an.
    Die Scherben knirschen unter seinen Sohlen, als er auf mich zukommt. Er trägt Schuhe. Mein Körper spannt sich. Da breitet er linkisch die Arme aus und ich kapiere, dass er mich hochheben will, mich über die Scherben hinwegtragen wie einen kleinen Jungen. Aus irgendeinem Grund tut das mehr weh, als wenn er mich geschlagen hätte.
    Ich mache einen Schritt rückwärts, suche nach Worten und finde welche, mit denen ich ihn schlagen kann: »Nur weil dein Sohn tot ist … Ich brauch niemanden, der mich rettet, kapiert!« Die Arme des Pfarrers sinken langsam herab, auch in seinem Gesicht sinkt etwas und ich schaue weg.
    »Ich hab keinen Muskelschwund! Ich hab jede Menge Muskeln!«, sage ich, denn ich bin fast vierzehn.
    Und dann laufe ich über die Scherben zur Tür. Ich merke, wie die Scherben in meine nackten Füße schneiden, aber ich laufe weiter.

GLÜCKSPUNKTE
    Ich habe heute siebzehn Marienkäfer gerettet. Das sind eine Menge Glückspunkte, aber ich habe das Gefühl, dass es trotzdem nicht reicht.
    Wenn der Wind vom Landesinneren kommt, werden die Insekten hinaus aufs Meer geweht. Die Schwebfliegen können auf dem Wasser landen und wieder abfliegen, aber die Marienkäfer sind zu schwer. Sie ertrinken. Außer, ich rette sie.
    Beim Schwimmen fische ich sie aus dem Meer und setze sie mir ins Haar. Ich bin ein menschliches Rettungsboot. Wenn ich ans Ufer wate, krabbeln die Marienkäfer auf meinem Körper rum. Damals, als die gepuderten Perücken in Mode waren, haben die feinen Damen sich künstliche Muttermale aufgeklebt. Als Schönheitsflecke. Ich habe lebendige Schönheitsflecke. Wenn sie in der Sonne getrocknet sind, fliegen sie weg.
    Wir sind seit drei Tagen hier. Als die Insel vor uns auftauchte, weiß und grün, rief Mama: »Ist das nicht schön?« Aber ich blickte zurück ans andere Ufer, wo wir herkamen, eine Stadt aus Industrieschloten und Beton, und dachte, dass die Insel eine Lüge ist. Eine Postkartenlüge.
    »Wir machen uns hier ein paar tolle Tage, wir zwei Mädels, oder? Wir brauchen ihn nicht! Oder, Finchen?« Mama sah mich an. Ich nickte.
    Jetzt liegen wir am Strand, wo man die Stadt nicht mehr sehen kann, nur das Meer, es ist blaugrau und weit und voller ertrinkender Marienkäfer.
    »Was machst du da?«, fragt mich ein Mädchen mit einem apfelgrünen Badeanzug, langem, rotbraunem Haar und Sommersprossen. »Die Viecher sind ’ne echte Plage und du rettest sie auch noch!« Die hat echt keine Ahnung. Ich ignoriere sie einfach und gehe zurück zu unserem Liegeplatz.
    Meine Mutter tut so, als würde sie lesen, aber eigentlich sonnt sie sich den ganzen Tag. Wenn sie so weitermacht, kriegt sie riesige Leberflecke. Aber die bringen kein Glück, höchstens Hautkrebs. Sie trägt kein Bikini-Oberteil. Wenn sie merkt, dass die Männer am Strand gucken, sagt sie: »Diese Spanner! Spielen die braven Familienväter und dann so was!« Aber zieht ihr Oberteil nicht wieder an. Ein Typ bleibt bei ihrem Liegestuhl stehen und erzählt ihr, dass er dieses Buch auch gelesen hat, ein tolles Buch, wirklich …
    Der Typ hat ziemlich wenig Haare. Meine Mutter hat viele Haare, sie sind blond und glänzen und riechen nach Mandelshampoo. Jetzt streicht sie sich die Haare aus dem Gesicht und lacht über etwas, was der Typ gesagt hat. Ich gehe langsam rückwärts und sehe zu, wie die beiden kleiner und kleiner werden. Ich warte darauf, dass meine Mutter mir nachruft, dass ich nicht so weit weggehen soll, aber sie lacht nur mit dem Typ. Ihr Lachen hört sich fremd an.
    Da drehe ich mich um und laufe den Strand entlang, vorbei an Kindern, die Sandburgen bauen, und Pärchen, die sich gegenseitig den Rücken eincremen, und Familien, die unter Sonnenschirmen picknicken. Plötzlich sehe ich das Mädchen im apfelgrünen Badeanzug, das vor mir herläuft. Ab und zu bückt sie sich, hebt einen Stein auf und betrachtet ihn. Oft schmeißt sie ihn dann wieder weg, aber manchmal steckt sie ihn auch in eine

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