Memed mein Falke
Richtung. Auf dem Akçadağ und den Göğsün-Bergen, dem Beritdağ und den Tausend Stieren, auf dem Aladağ, dem Kayranlidağ, dem Konurdağ und dem Paß von Meryemçil blieb kein Gebüsch undurchsucht. Von Ince Memed war keine Spur zu finden. Er schien vom Erdboden verschwunden. Dann bezogen sie in Değirmenoluk Winterquartier, um von dort aus den Alidağ bis zum letzten Mauseloch zu durchstöbern. Dann und wann jagten sie auf dem Gipfel nach Hirschen. Einmal kamen sie dabei sogar der Höhle nahe; entdecken aber konnten sie nichts.
Ali der Hinkende war überall dabei. Jedesmal schwor er tausend Eide, Memed könne ihnen nicht entgehen, und führte sie dann auf die Tausend Stiere. Wenn sie ihn nach neuer, vergeblicher Suche fragten, wo denn seine berühmte Spürnase geblieben sei, dann seufzte er betrübt: »Ach ja, das Alter! Ich kann die Spuren nicht mehr so klar auseinanderhalten.« Doch schien er eher verjüngt und sprühte vor Energie.
Nachdem sie monatelang vergebens über Berge und Täler gestreift waren, kehrten die Verfolger ermattet in die Kreisstadt zurück. Zwei große Banden hatten sie zwar aufgerieben, aber der Zweck ihrer Expedition war nicht erreicht. Die Agas und die Mächtigen in der Stadt schienen der Verzweiflung nahe.
Ibrahim der Schwarze sah zehn Jahre älter aus. »So einer ist mir noch nicht vorgekommen«, sagte er immer wieder. »Um diesen Menschen ist ein Geheimnis. Er hat sich einfach in nichts aufgelöst! Aber ich finde ihn noch. Ich habe eine Rechnung mit ihm zu begleichen. In Çiçeklideresi habe ich mindestens hundert Schuß auf seinen Kopf abgefeuert. Und keiner davon hat ihm auch nur ein Härchen gekrümmt. Er muß unverwundbar sein, unfehlbar hätte es ihn sonst erwischt!«
Bald hieß es in der ganzen Kreisstadt: »Memed ist unverwundbar.«
Auch Abdi Aga bekam das zu hören. Er schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Das Warten auf die ersehnte Nachricht von Memeds Ende hatte ihn entnervt. Ständig lag er Ali Safa Bey in den Ohren, der ihn von Mal zu Mal vertröstete. »Nur Geduld, Onkel«, pflegte er zu sagen, »mit Geduld werden die sauersten Trauben zu Helva.« Dann malte er ihm den versprochenen Triumph aus, wenn Memeds Kopf vor seinem Haus aufgepflanzt sei.
Als Abdi Aga von Memeds Unverwundbarkeit hörte, schnappte er über. Im Laufschritt kam er im Laden des Politikers an. Er teilte ihm die Neuigkeit mit. Er forderte ihn auf, sofort ein Telegramm nach Ankara zu schreiben. Der Politiker sah noch dümmer drein als sonst, die Zunge klebte ihm am Gaumen fest, so daß er kein Wort mehr hervorbrachte.
»Schreib«, befahl Abdi Aga, »schreib an die Regierung, daß in diesen Bergen ein Bandit haust, der Blut trinkt, Kinder ermordet, Jungfrauen in die Berge entführt und vergewaltigt. Er hat die Herrschaft über die Berge. Sein Ansehen wächst von Tag zu Tag. Er verteilt Äcker und pflanzt den Bauern den Gedanken ins Hirn, daß die Äcker verteilt werden müssen. Mache das deutlich in deinem Schreiben! Schärfe es ihnen ein! Heb diese Stelle hervor! Er zerstückelt die Mädchen, die er entführt und vergewaltigt, und hängt jedes Stück an einen anderen Baum. Seine Bande hält die Straße von Maraş nach Adana unter Kontrolle und läßt niemanden vorüberziehen. Schreib, Politiker Efendi, schreib, mein Bruder! Zeig, was du kannst! Damit jeder in Ankara, der den Brief liest, den Mund nicht mehr zubringt. Die Regierung soll eine Armee hierher schicken. Ich gehe jetzt Briefmarken kaufen.«
In der Kreisstadt ging es drunter und drüber.
»Also dieser Ince Memed! Also dieser Däumling! Er soll alles getan haben und trotzdem niemandem in die Hände gefallen sein.«
Abdi Agas wohlberechnete Wehklagen und Ali Safa Beys Intrigen erreichten schließlich, daß Sergeant Asim eine Woche nach seiner Rückkehr erneut in die Berge ziehen mußte. Diesmal wurde ihm eine ganze Kompanie von Gendarmen unterstellt. Zur gleichen Zeit rückte auch Ibrahim der Schwarze mit seinen Spießgesellen wieder aus. Er schwor Abdi Aga in die Hand, nicht ohne Memeds Kopf zurückzukehren.
30
Zwischen den Felsen war ein leuchtendgelber Teppich von Krokusblüten ausgebreitet, die auf ihren kaum sichtbaren Stengeln dicht am Boden haften. In das Gelb mischten sich als purpurne und violette Tupfen kniehohe Hyazinthen und feuchtglänzende Veilchen. In diesen Höhen blüht auch eine Steinblume, deren kristallenes Rot keinem anderen Rot vergleichbar ist.
Blickte man vom Gipfel des Alidağ auf die Hänge, so
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