Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
verschlossen war.
Jetzt, bei zugezogenem Vorhang, ist es hier hinten stickig und eng. Ein bisschen Licht sickert unter der Bühne hervor, durch die schmalen Spalten zwischen den Brettern. Partridge versucht, sich an das Lied zu erinnern, das Lydas Gruppe gesungen hat – ein altes Lied, in dem es darum ging, dass man ein Stück vom amerikanischen Traum abhaben will. War es ein feministisches Lied? Wollten die Mädchen damit ausdrücken, dass sie mehr vom Leben erwarten? Er hätte damals nie über so etwas nachgedacht, aber Lyda vielleicht schon irgendwie, oder? Er wundert sich noch immer, dass sie nicht mitgekommen ist. Sie hat sich verändert da draußen.
»Hier entlang«, flüstert Vinty.
Partridge folgt ihm durch eine Pappkulisse, die ein Landhaus darstellen soll, vorbei an einigen Scheinwerfern.
Dahinter geht Vinty in die Knie und öffnet eine Falltür. Als er eine Leiter hinabklettert, die unter die Bühne führt, begreift Partridge, was er mit unten gemeint hat. Auf einmal fragt er sich, ob das eine Falle ist. Er hat mit Iralene über Glassings gesprochen. Hat sie ihn verpfiffen?
Verdammt. Er hat Vinty vertraut, nur weil er Cygnus gesagt hat.
In einer Ecke des Raums brennt eine Lampe; daher kommt das Licht, das durch die Spalten zwischen den Bühnenbrettern dringt. Partridge wird von einer unsinnigen Angst gepackt – dass sein Vater hier unten auf ihn warten könnte, zwischen Kisten, Klappstühlen, Tischchen, Farbtöpfen, Pinseln, Kerzen und zusammengewürfelten Hüten – den traurigen Überresten eines Zimmers, das ein Zuhause hätte sein können.
Vor ihm stehen zwei Ohrensessel. Der Sessel gegenüber ist leer, doch in dem anderen, der Partridge den Rücken zukehrt, sitzt jemand. Er spürt es. Zwischen den beiden Sesseln befindet sich ein Holzfass, auf dem eine Lampe und ein kleines Terrarium voller Käfer stehen. So einen Käfer hat Partridge sich vorhin vom Knöchel gewischt.
Er blickt sich um. »Vinty?«
»Keine Sorge«, entgegnet Vinty.
Partridge geht weiter. Obwohl sein Herz wie wild schlägt, nimmt er in aller Ruhe auf dem freien Sessel Platz. Als hätte er keine Angst.
Gegenüber sitzt Durand Glassings, sein ehemaliger Lehrer für Weltgeschichte.
»Professor Glassings!«, ruft Partridge. »Bin ich froh, Sie zu sehen.«
Glassings antwortet mit einem breiten Lächeln, beugt sich vor und ergreift seine Hand – und zieht Partridge auf die Beine und in seine Arme. »Mein Gott, Partridge. Ich dachte, ich seh dich nie wieder.« Er drückt ihn an sich. »Das mit deiner Mutter und Sedge tut mir leid.«
Seltsam – Partridge fühlt sich, als hätte er unterbewusst auf diesen Moment gewartet. Sofort fängt er an zu heulen. Am liebsten würde er die Tränen verbergen, doch er bekommt kaum noch Luft. Es tut mir leid. Auf diese Worte hat er gewartet. Er hat darauf gewartet, dass eine Art Vater diese Worte zu ihm sagt. Und das ist Glassings in diesem Augenblick für ihn, begreift er auf einmal, vielleicht war er es schon immer: eine Art Vater.
»Komm, setz dich«, sagt Glassings leise.
Partridge lässt sich auf den Sessel sinken und wischt sich übers Gesicht.
Auch in Glassings’ Augen schimmern Tränen, doch er lächelt. »Verdammt noch mal, Partridge. Ich bin so froh, dass du da bist. Sieh dich doch an. Wie war es da draußen? Ich will alles wissen.«
Glassings ist der Erste, der ihm diese Frage stellt. Eigentlich ist das nicht weiter verwunderlich – die Bewohner des Kapitols denken nur ungern an die Leute in der Außenwelt. Und jetzt weiß Partridge kaum etwas zu sagen. »Es ist schmutzig und dunkel, alles voller Ruß«, antwortet er, »und gefährlich. Aber auch irgendwie … die Unglückseligen sind nicht nur unglückselig. Da draußen schlagen sich viele großartige Menschen durch, Tag für Tag, unter den grausamsten Bedingungen.« Er überlegt einen Moment. Glassings wartet geduldig. »Es ist echt«, sagt er schließlich. »Und echt ist gut.«
»Jedenfalls hast du es raus aus dem Kapitol und wieder rein geschafft. Und zwar in einem Stück.«
»Nicht ganz«, widerspricht Partridge. Er zieht die Kappe von seinem kleinen Finger und zeigt Glassings den Stummel.
»Wie ist das passiert?«
»Ich hab damit bezahlt, könnte man wohl sagen.« Er steckt die Kappe wieder auf den Finger. »Mein Vater will ihn nachwachsen lassen.«
»Dein Vater.« Glassings’ Gesicht verdüstert sich. »Tja, wenn es einer kann, dann er.« Er wendet sich an Vinty. »Du kannst gehen, Vinty. Danke, dass du
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