Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
Hände auf die Navigationsanzeige, die flackernd zum Leben erwacht ist: eine grobe Landkarte mit einem grünen, blinkenden Punkt in der Mitte – das Luftschiff selbst.
»Und jetzt?«, fragt er Fignan.
»Backbord- und Steuerbordtriebwerke einschalten.«
Seine Augen huschen über die Instrumententafel, während das Hämmern zu einem rhythmischen Dröhnen anschwillt und das Kreischen in ein Jaulen übergeht, das fast nach einer Beschwörungsformel klingt. Er findet die richtigen Beschriftungen und legt die Schalter um.
»Und weiter? Komm schon, Fignan!« Doch es fühlt sich bereits an, als wäre das Luftschiff nicht mehr an die Erde gefesselt. »Wir sind in der Luft! Oder?«
Da kommt das Schiff abrupt zum Stillstand. Die Halteleinen an Bug und Heck knarren. Er hat die Verankerung vergessen! Wieder gerät El Capitán in Panik.
»Was ist los?«, ruft Bradwell. »Stimmt was nicht?«
Das Jaulen wird immer lauter, immer hungriger.
»Verankerung an Bug und Heck lösen«, erklärt Fignan.
»Schon klar, aber wie?« Das Cockpit wackelt wieder. Zerren die Bestien etwa an den Leinen?
»Warum haben wir angehalten?«, ruft Pressia. »El Capitán!?«
»Alles in Ordnung!«, erwidert er, vor allem um sich selbst zu beruhigen. »Fignan!«
Fignan zeigt ihm eine schematische Darstellung aus dem Handbuch. Unter der Navigationsanzeige leuchtet ein roter Knopf.
Schnell fährt El Capitán unter der Anzeige entlang, bis er den Knopf gefunden hat. Die Leinen klinken sich aus und rollen sich mit einem lauten Surren ein. Sofort macht das Luftschiff einen Satz nach oben. El Capitán muss sich an der Instrumententafel festhalten, um nicht auf den Boden geschleudert zu werden, und betätigt dabei versehentlich einen Schalter. Eine Sirene schrillt los.
»Um Himmels willen!«, schreit er.
»Um Himmels willen!«, ruft Helmud.
Als er den Schalter wieder in die andere Richtung kippt, versandet das Schrillen allmählich. Aber anscheinend hätte ihm gar nichts Besseres passieren können – die Bestien jammern, verängstigt von der Sirene.
»Brauchst du da vorne Hilfe?«, ruft Bradwell.
»Hilfe!«, schreit Helmud.
»Wir kommen klar!«, brüllt El Capitán zurück, während das Luftschiff immer schneller aufsteigt – zu schnell. Es kommt dem zerklüfteten Rand der Kuppel gefährlich nahe. »Fignan!«
»Die Flugrichtung wird mithilfe der Propeller angepasst«, sagt Fignan mit verstörend ruhiger Stimme.
El Capitán packt die Propellerhebel und reißt sie nach links, in die Mitte der Kuppel. Leider viel zu heftig – das Luftschiff kippt zur Seite. Er lässt wieder locker. Die Kiste lenkt sich sensibler, als er dachte.
Deutlich vorsichtiger steuert er in die andere Richtung dagegen. Das Luftschiff treibt mal nach rechts, mal nach links, jedes Mal fast bis zum Rand. Unwillkürlich atmet er tief ein, als könnte er das Schiff dadurch schlanker machen.
Während sie weiter aufsteigen, tippt er die Hebel millimeterweise nach links und rechts, bis er ungefähr die mittlere Einstellung gefunden hat. Das Luftschiff stabilisiert sich und schwebt empor …
Und plötzlich sind sie draußen. Als er Bradwell und Pressia jubeln und klatschen hört, erinnert El Capitán sich an Pressias Gesichtsausdruck, als er mit ihr über seine und Willux’ Besessenheit geredet hat, und an das elektrisierende Gefühl, das ihn danach ergriffen hat. Ihrer Meinung nach hatte er etwas Intelligentes gesagt, und dafür hat sie ihm Respekt gezollt. Auch jetzt fühlt er sich wie elektrisiert, als stünde sein ganzer Körper unter Strom. Tief hängende, dunkle Wolken ziehen vorüber. El Capitán fliegt. Er ist kein kleiner Junge mehr, der von seinem Vater verlassen wurde und sich nun den Hals verrenken muss, um Flugzeuge zu erspähen, die oben über den Himmel brummen.
Jetzt ist er selbst am Himmel. Es ist nicht das erste Mal, dass El Capitán sich stark fühlt. Er musste fast sein ganzes Leben lang stärker sein, als man es von irgendjemandem verlangen kann. Doch erst jetzt ist er in der Lage, sich von dem einsamen kleinen Jungen zu verabschieden, der es nicht wagt, Schwäche zu zeigen, der sich nicht mal traut, zu weinen, obwohl er verzweifelt und traurig und verloren ist – von dem kleinen Jungen, der sich sicher ist, dass sein Vater ihn verlassen hat, weil er den Anblick seines nutzlosen Sohnes nicht mehr ertragen konnte.
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich kein bisschen nutzlos.
TEIL III
PARTRIDGE
Iralene
Partridge öffnet die Augen. Sein
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