Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
oder nicht handeln, das ist das Entscheidende. Manchmal muss man handeln.«
Freedle regt sich in Lydas Tasche. Sie soll für Pressia auf ihn aufpassen. Es wäre besser gewesen, ihn zurückzulassen, doch das konnte sie nicht. Freedle ist wie ein kleiner Beschützer mit flatternden Flügeln.
Die Anführerin sucht die Umgebung ab. Vermutlich werden sie sich bald in die Drylands vorwagen, um die Katapulte möglichst nah am Kapitol in Stellung zu bringen.
In diesen Augenblicken könnte Partridge zurück in der Akademie sein und durch die Flure zu seinem Zimmer laufen. Vielleicht ist er mitten in der Nacht aufgewacht, weil er nicht schlafen kann. Vielleicht sorgt er sich um sie. Mit geballten Fäusten und zusammengekniffenen Augen denkt Lyda an Partridge, als könnte sie ihn dadurch warnen. Sollte zwischen ihnen eine Verbindung bestehen, eine echte Verbindung, kann er ihre Warnung vielleicht spüren.
Schon rollen die Mütter die Katapulte bergauf in die Drylands. Schnell und leise bestücken sie die Schleudern mit Granaten, die Lyda an … woran erinnern sie sie? An Äpfel? An amputierte Fäuste?
Sie entsichern die Wurfarme, treten einen Schritt zurück und rufen: »Bereit!« Andere Mütter lösen die Sperren vor den Federn. Die Wurfarme schnellen hoch, die Granaten segeln durch die Luft.
Sie landen. Ein Prasseln wie trippelnde Schritte. Nah an der Außenkante des Kapitols steigen Staubwolken auf. Ein paar Granaten prallen auf die harte Hülle.
Nach und nach explodieren sie. Kräftige, präzise Detonationen. Syden hält sich die Ohren zu und weint.
»Ja«, flüstert Mutter Hestra stolz. »Ja. Ja.«
Als die Mütter erst einmal angefangen haben, hören sie nicht mehr auf. Doch zuerst zuckt das Kapitol nicht mal mit der Wimper. Die Luftfilteranlage steckt direkte Treffer ein, aber die Versiegelung gibt nicht nach.
Plötzlich öffnet sich eine Tür – die Tür, durch die Lyda ins Freie befördert wurde. Es scheint Jahre her zu sein.
Eine lange Reihe Spezialkräfte – hoch aufgeschossene, sehnige, muskulöse Gestalten – strömt im vollen Sprint ins Freie und rast den Hang hinunter auf die Mütter zu.
»Warum schießen sie nicht?«, fragt Mutter Hestra.
Lyda stockt das Herz. »Sie wollen näher ran. Sie wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben.«
»Näher ran? Das ist gut.«
»Was soll das heißen?«
»Wir wollen, dass sie ein paar von uns gefangen nehmen. Du weißt doch, dass wir nur von innen echten Schaden anrichten können.«
Lyda schüttelt den Kopf. »Das ist doch Wahnsinn!«
Ohne Pause laden die Mütter die Katapulte nach, doch nun zielen sie auf die Spezialkräfte. Die Geschosse schlagen zwischen den Soldaten ein, Sekundenbruchteile später explodieren sie. Die meisten Spezialkräfte zerstreuen sich, doch ein paar halten die Formation, als könnten sie nicht von ihrer Programmierung abweichen, um auf die veränderte Lage zu reagieren. Ihre Körper werden zerfetzt – aber nicht vollständig, dafür haben die Granaten zu wenig Durchschlagskraft. Sie zertrümmern Brustkörbe, zersplittern Beine, reißen Arme an der Wurzel aus.
Lyda kann es nicht mitansehen. Das ist ihre Schuld. Sie packt Mutter Hestra am Arm. »Sie sollen aufhören! Das sind doch nur Jungs aus der Akademie. Das sind Kinder!«
»Das sind Tote, Lyda. Tote!«
Sie werden nicht aufhören. Lyda weiß es. Die Mütter werden immer weiter töten. Nur die Soldaten, die aus der Formation ausgebrochen und hinter Bäumen in Deckung gegangen sind, werden überleben – und das Feuer erwidern. Ein Scharfschützengewehr donnert. Eine Mutter, die ein Katapult bedient, sackt zusammen und bleibt liegen.
Lyda muss der Gewalt ein Ende setzen. Wenn sie jetzt aufs Kapitol zuläuft, werden die Mütter aufhören. Sie ist schwanger. Kann sein, dass sie von Spezialkräften erschossen oder gefangen genommen wird, aber wenn hier schon jemand gefangen genommen werden muss, dann sie. Sie muss zu Partridge, sie muss ihn warnen. Das Baby? Ja, sie hat Angst um das Baby, aber sie kann nicht zulassen, dass es so weitergeht. Weil es ihre Schuld ist.
Es ist keine logische Entscheidung, die sie sich sorgfältig zurechtgelegt hätte. Sie weiß nur, dass sie handeln muss, wie Mutter Hestra sagen würde. Deshalb entfernt sie sich langsam von der Mutter, zögert kurz – und rennt.
»Nein!«, brüllt Mutter Hestra. »Lyda! Komm zurück!« Eine Pause. »Feuer einstellen! Feuer einstellen!«
Lyda erinnert sich, wie sie diesen Hang nach ihrem Rauswurf aus dem
Weitere Kostenlose Bücher