Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
zusammenzieht. Wie bei einem Gewitter, wenn man in einem dunklen Raum sitzt und der erste Blitz erhellt, worauf die Augen zufällig gerichtet sind, bevor das Licht sofort wieder vergeht.
»Nimm«, sagt Iralene und schiebt ihm den Handheld hin, dessen Motor noch summt. Ein rotes Licht blinkt wie ein Signalfeuer. Ehe die Kameras wieder angesprungen sind, hat Partridge ihr erzählt, dass er plötzlich Erscheinungen hat – zusammenhanglose, schrille Bilder, eines nach dem anderen, keines wie das vorige. Sie hat ihn aufgefordert, sich nichts anmerken zu lassen. Besonders vor den Kameras.
Und jetzt das. Er weiß, was das rote Licht bedeutet – eine Nachricht von seinem Vater. Sein Vater hat ihm gesagt, dass er bald in den OP zurückkehren muss, weil die Synapsen in seinem Gehirn wieder zum Feuern gebracht werden sollen. Doch das ist nicht der wahre Grund. Sein Vater will ihn töten.
»Drück auf Play«, sagt Iralene betont fröhlich. »Hören wir’s uns an.«
Partridge blickt hoch zu den Kameras. Wer auch immer sie beobachtet, denkt vermutlich, Iralene hätte die Kameras abgeschaltet, damit sie etwas Zeit zu zweit verbringen können. Iralenes Haar ist sogar angemessen zerwühlt.
Ein Vogel mit Eisenschnabel und Scharnierkiefer.
Ein schwarzes Auto in einer Staubwolke.
Das Gesicht seines Vaters, rau und glänzend, als wäre es von einer dünnen Membran aus künstlicher Haut überzogen.
Die Erinnerungen überfallen ihn gruppenweise, unberechenbar, blitzartig, und brechen genauso abrupt ab, wie sie einsetzen. Sie erinnern ihn an Codierungssitzungen, bei denen er mit fremden Erinnerungen bombardiert wurde, doch die neuen Erinnerungen sind aggressiver – und kein bisschen vertraut. Bis auf Lyda Mertz. An Lyda erinnert er sich, aus der Mädchenakademie. Aber nicht so, nicht so verdreckt und erst recht nicht bewaffnet. Trotzdem würde er am liebsten zu diesem Bild zurückkehren: Lyda mit rasiertem Kopf und Speer. Bei diesem Bild will er verweilen. Liebt er sie? Ist sie der Grund für seinen Liebeskummer? Lyda Mertz? Angeblich muss er rausgehen, um sie zu retten. Doch diese neue Lyda sieht nicht aus, als müsste sie gerettet werden.
»Spiel’s ab«, wiederholt Iralene.
Als er auf den roten Knopf drückt, erfüllt die Stimme seines Vaters das Zimmer. »Morgen früh um sieben wirst du frisch und munter im Medizinischen Zentrum erwartet, Partridge! Es gibt hervorragende Nachrichten – die Ärzte können eine Menge schneller Reparaturen durchführen. Du wirst rundum verbessert. Leider braucht es dazu eine Narkose, aber die wird kurz und schmerzlos sein. Und wenn du aufwachst, bin ich bei dir. Ich freue mich, endlich wieder mit dir vereint zu sein, mein Sohn.«
»Siehst du?«, sagt Iralene. »Das klingt doch gut. Tolle Nachrichten, was?«
Partridge nickt und versucht, überschäumende Freude vorzutäuschen. Selbst ein halbes Lächeln wäre nicht schlecht. Es klappt nicht. »Ich bin müde.« Er wünschte, er hätte die Kapsel nicht bei sich. Oder er könnte sie einfach vergessen.
»Es ist ja auch schon spät. Dann lass ich dich mal in Ruhe«, erwidert Iralene.
»Nein, ich will nicht schlafen.« Partridge fürchtet sich vor der Mischung aus Erinnerungen und Träumen, die im Schlaf an die Oberfläche steigen könnte. Könnte er sich einen Traum aussuchen, wäre es Lyda Mertz – Lyda Mertz und nichts anderes. Aber er weiß, dass das Unterbewusstsein seinen eigenen Willen hat.
»Versuch wenigstens, etwas zu schlafen. Morgen ist ein wichtiger Tag. Da musst du ausgeruht sein.« Iralene steht auf, greift in eine imaginäre Tasche und hält ihm die leere Hand hin. »Hier! Eine Handvoll süße Träume.«
Als er die Hand ausstreckt, legt sie die süßen Träume hinein – aber sie meint etwas anderes: Die Kapsel ist in deiner Tasche. Die Kapsel, die deinen Vater töten und dem ganzen Unrecht ein Ende setzen kann. Sie meint: Setz die Kapsel ein.
EL CAPITÁN
Ranken
El Capitán kommt es vor, als würde er schon seit Stunden durch die Dunkelheit vor dem Luftschiff stolpern und taumeln und Bradwells Namen rufen. Keine Antwort. Bradwell muss da draußen sein, irgendwo, aber El Capitán hört nur vereinzeltes Blätterrascheln und, seit es langsam dämmert, auch Vogelzwitschern.
Sein Kopf dröhnt. Er hat sich zweimal übergeben. Doch im blassen Licht des Sonnenaufgangs kann er sich endlich auf die Suche nach Fußspuren machen. Auf Händen und Knien rutscht er über die Erde und hält Ausschau nach dem Abdruck einer
Weitere Kostenlose Bücher