Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
in einem strahlend hellen Fleck auf dem Boden sammelt, ist sie überzeugt, dass sie sich an einem heiligen Ort befindet.
Fignan sitzt neben ihr. »Du bist keine Box«, sagt sie Walronds Botschaft auf. »Sondern ein Schlüssel.« Doch wenn sie ehrlich ist, hat sie keine Ahnung, wie sie Fignan als Schlüssel verwenden soll. Panik keimt in ihr auf. Worauf hat sie ihre ganze Hoffnung gesetzt? Auf einen Kasten. Auch ein Kasten voller Informationen ist immer noch ein Kasten.
Aber Fignan scheint zu wissen, was zu tun ist. Er surrt zur Mitte der Kammer. Aus seinem Mittelteil fährt sich ein langer, dünner Arm mit einer feinen Glaslinse aus, die einen etwas geringeren Durchmesser als Pressias Puppenkopffaust hat. Fignan hält die Linse ruhig in die Luft – und das Licht der aufgehenden Sonne fällt mitten hindurch.
Pressia hält den Atem an. Durch ihren Mantel spürt sie den kalten Stein. Sie beobachtet, wie das Sonnenlicht die Linse ausfüllt und auf den Boden trifft.
Zuerst sieht sie nichts. Nichts als rissige, festgetretene Erde.
Dann entdeckt sie ein schwaches Glänzen. Ein schimmerndes Muster im Staub.
Auf einmal hört sie eine Stimme. Schritte am Eingang. Als ein Schatten den Gang verdunkelt, flackert das Licht für ein, zwei Sekunden. Pressia wagt nicht zu atmen. Weg da , fleht sie in Gedanken. Weg!
Der Boden leuchtet wieder auf – und das Licht formt sich zu drei ineinander verschränkten Spiralen mit einem Durchmesser von etwa dreißig Zentimetern. Pressia nähert sich dem hellen Fleck und berührt die Spiralen, drückt auf die kompakte Erde. Erneut dringt eine Stimme durch den Tunnel, doch sie kann keine Worte ausmachen. Am liebsten würde sie in eine der Nischen der kreuzförmigen Kammer huschen, wo sie außer Sichtweite wäre. Aber sie kann es sich nicht leisten, sich zu verstecken.
»Was jetzt, Fignan?« Sie hat nur diese eine Chance. Hektisch zerkratzt sie die Erde, wo die drei schimmernden Spiralen leuchten. Weitere Schatten lassen das Sonnenlicht flattern, als ihre Fingernägel plötzlich auf etwas Hartes stoßen – schmale Erhebungen. Spiralen. Die Umrisse der drei miteinander verzahnten Spiralen. Pressia gräbt weiter, bis sie die geschwungenen Konturen im Stein erkennen kann. »Was ist das, Fignan? Was bedeuten diese Spiralen?«
Fignan antwortet nicht. Er scheint sich ganz darauf zu konzentrieren, das Licht zu lenken.
Kaum hat Pressia die Spiralen vollständig freigelegt, hört sie trampelnde Schritte. Sie kommen näher. Sie befiehlt Fignan, sich abzuschalten. Die Linse zieht sich ein, die Kammer verdunkelt sich. Pressia hebt Fignan auf, drückt sich in eine der Nischen und hält Fignan hoch über den Kopf, die Puppenkopffaust fest gegen seine Unterkante gepresst.
»Ist da wer?«, fragt eine Männerstimme. »Wer ist da?«
Keinen halben Meter entfernt bleibt ein klein gewachsener, stämmiger Mann stehen und ringt um Atem. Die Morgensonne fällt auf sein weißes Hemd – ein so weißes Hemd, dass Pressia beinahe glaubt, noch nie so etwas Blendendes gesehen zu haben. Einen winzigen, flüchtigen Moment lang hofft sie, das könnte ihr Vater sein – Hideki Imanaka. Sie erstarrt. Doch sie weiß, dass die Chancen verschwindend gering sind.
Deshalb atmet sie tief ein, drückt den Rücken durch, hebt Fignan noch höher in die Luft – und knallt dem Fremden die schwere, scharfkantige Blackbox auf den Hinterkopf. Der Mann kippt nach vorne und fängt sich mit einer Hand an der Felswand ab, fasst sich an den Kopf, wo das Blut bereits aus einer Risswunde in sein dichtes, graues Haar sickert, und starrt auf seine Finger. Er hat keine Verschmelzungen, aber er ist auch kein Reiner. Schartige Brandnarben ziehen sich über eine Hälfte seines Gesichts. Seiner Haut haftet ein merkwürdiger, goldener Farbton an. »Wer …?«, bringt er noch heraus, dann gleitet er an der Wand auf den Boden. Sein lockeres weißes Hemd öffnet sich, als er unsanft auf dem Rücken landet, mitten auf den geriffelten Spiralen.
Pressia lauscht auf weitere Stimmen, weitere Schritte. Nichts. Sie stellt Fignan ab. Ihre Hand zittert. Vielleicht zittert selbst ihr Herz.
Sie bückt sich und versucht, den Mann von den Spiralen zu zerren. Er ist schwerer als gedacht. Sie muss sich auf den Boden hocken, um ihn mit den Füßen wegzustoßen. Endlich kommt sie ein wenig voran. Sie versucht es noch einmal, holt das letzte bisschen Kraft aus ihren Beinen heraus und schiebt den Mann weiter zur Seite. Schlamm verdunkelt die Ärmel seines
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