Memento - Die Überlebenden (German Edition)
Farmhauses. Für einen Moment stellt sie sich vor, sie wären auf dem Weg nach Hause.
Doch als sie näher kommen, sieht sie etwas an einem der Fenster. Es sieht beinahe aus wie eine kleine Fahne – ein weißes Handtuch mit einem blutroten Streifen in der Mitte. Sie greift in ihre Tasche und zieht die Karte hervor, die Ingerships Frau ihr in der Küche gegeben hat. Das Zeichen. Was bedeutet es? Ich kann dir helfen, aber du musst helfen, mich zu retten. War es nicht das, was sie zu Pressia gesagt hatte?
PARTRIDGE
Pakt
Seine Mutter ist nicht tot. Sedge ist nicht tot. In Partridges Gedanken kann das nicht sein. Es muss einen Fehler gegeben haben, irgendwo, und alles wird sich aufklären. Auch an der Akademie hat es manchmal Fehler gegeben, hauptsächlich in der Wahrnehmung, menschliches Versagen. Sein Vater ist schuld. Sein Vater ist menschlich. Es ist ein menschlicher Fehler.
Oder vielleicht ist es ein Test. Sein Vater hat die Konstruktionszeichnungen aufgehängt, und er hat Partridge das Foto gegeben in der Hoffnung – oder vielleicht hat er es sogar gewusst –, dass Partridge die Information nutzen würde. Vielleicht war das alles von dem Augenblick an, als das Bild mit hellem Blitz aufgenommen wurde, Teil eines Planes, um Partridges geistige und körperliche Stärke zu testen: Am Ende kommen alle aus ihren Verstecken wie bei einem kunstvoll eingefädelten Streich oder einer Überraschungsparty. Es ist eine Erklärung, die Sedge und seine Mutter am Leben lässt, doch obwohl er sich mit aller Macht an diese gewagte Logik klammert, weiß er, dass er sich etwas vormacht. Ein anderer Teil seines Gehirns sagt ihm, dass sie wirklich tot sind, ein für alle Mal.
Der Verband um seine linke Hand verbirgt das fehlende Glied seines kleinen Fingers, doch er beginnt einen Schmerz zu spüren, ein Pulsieren, als wäre der Finger immer noch da. Pressia beginnt von dem Farmhaus zu erzählen, und er glaubt ihr kein Wort. Wie könnte er? Eine Farm, hier draußen? Ein automatisches System, das Fenster und Türen versiegelt, sodass Staub und Asche nicht eindringen können? Ein Kronleuchter im Esszimmer? Und alles umgeben von Feldern mit Arbeitern, die Pestizide versprühen?
Eine Auster – irgendeine, ob giftig oder nicht – wäre ein wissenschaftliches Wunder. Andererseits gibt es im Kapitol Labore, die sich mit nichts anderem beschäftigen als der Rückkehr zu natürlicher Nahrungsmittelproduktion. Die Farm gehört zum Kapitol. Es muss so sein. Die beiden Welten sind miteinander auf eine Weise verbunden, die er sich niemals hätte vorstellen können. Der Wagen, in dem sie alle sitzen, ist der Beweis. Er muss aus dem Kapitol stammen. Woher sonst? Als Pressia zu erzählen aufhört, sagt Lyda: »Ich habe beim Kapitol Reifenspuren gesehen. Es gibt ein Ladedock. Laster fahren hin und her.«
Testen sie bereits den Übergang vom Kapitol nach draußen, zurück nach Hause in ihr rechtmäßiges Paradies, das Neue Eden?, fragt sich Partridge. Gesegnet. Im Kapitol waren sie gesegnet. Partridge erinnert sich an die Worte seiner Mutter. Sklaven. Eine neue Klasse von Untermenschen. Die Stimme seiner Mutter ist wie ein Stück hauchdünnen Stoffs, das in seinem Hinterkopf leise raschelt – und dann spürt er ein Gewusel in seiner Brust, und ihm wird übel vor Wut. Sie ist verwundet, doch Sedge ist bei ihr, und Caruso kümmert sich um sie, genau wie beim letzten Mal, als sie beinahe umgekommen wäre. Menschlicher Irrtum.
Nein, tot. Alle beide, und Caruso wird niemals aus dem Bunker an die Oberfläche kommen. Er ist der Einzige, der übrig geblieben ist. Er wird eines Tages dort in seinem Bunker sterben – wahrscheinlich recht bald, jetzt wo Partridges Vater endlich weiß, wo der Bunker ist.
Mrs Fareling … er denkt an Mrs Fareling und an Tyndal. Er ist nicht dazu gekommen, seiner Mutter ihre Nachricht zu bestellen – dass sie überlebt haben. Danke. Es gibt so Vieles, was er ihr nicht mehr sagen konnte, zu viel, um es zu zählen.
Als Pressia verkündet, dass sie fast da sind, wendet sich Lyda an Partridge. »Es gibt da etwas, das ich dir von jemandem bestellen soll«, sagt sie.
»Von wem?«
»Einem Mädchen, dem ich im Therapiezentrum begegnet bin«, antwortet Lyda und sie scheint verlegen, weil sie einräumen muss, dort gewesen zu sein. Aber irgendjemand muss ihr schließlich den Kopf rasiert haben. Partridge wüsste gerne, wie viel sie wegen ihm durchgemacht hat. Er würde gerne alles ungeschehen machen. Doch sie will
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