Memoiren 1902 - 1945
jeden Tag.
Tatsächlich wurde Deutschland überraschend die siegreichste Nation: Die deutschen Sportler gewannen 33 Gold-, 26 Silber- und 30 Bronzemedaillen, ein Rekord, den sie nie wieder erreichten.
Anatol, der Fackelläufer
I ch wußte noch nicht, wie ich den Fackellauf von 7200 Kilometern und durch sieben Länder gestalten könnte. Am 17. Juli 1936 verließen acht Mann in drei Mercedes-Wagen Berlin. Sie sollten die Fakkelläufer begleiten. Ich selbst flog wenige Tage später mit einem kleinen Stab in einer Ju 52 nach Athen, um im Hain von Olympia das Entzünden des Olympischen Feuers und die ersten Läufer auf dem Weg durch Griechenland aufzunehmen.
Bei unvorstellbarer Hitze traf unsere Wagenkolonne in Athen ein. Auf der Fahrt nach Olympia wurden wir jubelnd von den am Straßenrand stehenden Griechen begrüßt. Bei glühender Mittagssonne erreichten wir, erschöpft und durchgeschwitzt, die klassische Olympia-Stätte. Die Wirklichkeit übertraf meine schlimmsten Erwartungen. Autos und Motorräder entstellten die Landschaft. Der Altar, auf dem das Olympische Feuer entzündet werden sollte, sah erschreckend nüchtern aus. Auch der griechische Jüngling in sportlicher Kleidung paßte überhaupt nicht in die Atmosphäre, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich war bitter enttäuscht.
Unsere Kameraleute bemühten sich, einen Blick auf den Altar zu bekommen, aber das Gedränge war so groß, daß es hoffnungslos zu sein schien. Plötzlich verkündeten laute Jubelschreie, daß das Olympische Feuer entzündet sein mußte. Wir sahen zwischen Motorrädern und Autos das rötliche Licht der Fackel und erkannten den ersten Fackelläufer, wie er sich durch die Menge drängte und auf die Landstraße hinauslief. Als unsere Wagen hinterherfahren wollten, wurden sie von einer Kette von Polizisten aufgehalten - wir durften nicht weiterfahren. Selbst Plaketten des IOC an unseren Windschutzscheiben halfen nicht. Ich sprang aus dem Wagen und flehte die Polizisten an, die sich schließlich erweichen ließen und etwas verblüfft den Weg freigaben. Unsere Wagen brausten davon. Nach wenigen Minuten hatten wird den Läufer eingeholt. Mir war klar, daß wir so keine brauchbaren Aufnahmen bekommen konnten. Was wir filmten, war reine Wochenschau. Wir mußten versuchen, unseren eigenen Fackellauf aufzunehmen, jenseits dieser Straßen mit Motiven, die dem Charakter meines Olympischen Prologs entsprachen.
Erst der vierte Läufer dieser Staffel sah so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte: ein junger dunkelhaariger Grieche. Einige Kilometer nach Olympia wurde er in einem Dorf abgelöst. Er stand im Schatten eines Baumes, war vielleicht achtzehn oder neunzehn und wirkte sehr fotogen. Einer meiner Mitarbeiter sprach ihn an, er reagierte abweisend. Wir gaben nicht auf, und da niemand von uns griechisch sprechen konnte, versuchten wir uns pantomimisch zu verständigen. Es stellte sich heraus, daß er etwas französisch verstand. Wir machten ihm deutlich, er sollte mit uns kommen. Er lehnte das ab. Wir sagten, wir würden ihn auch wieder zurückbringen. Schließlich gab er uns zu verstehen, daß er mit seiner kurzen Hose nicht mitkommen könnte, erst müßte er nach Hause, um sich ordentlich anzuziehen. Nachdem wir versprochen hatten, ihn einzukleiden, stieg er zu uns ins Auto. Ich versuchte, Näheres von ihm zu erfahren. Mit Hilfe einiger französischer Wörter kam heraus, daß mein klassischer griechischer Jüngling kein Grieche, sondern Sohn russischer Emigranten war. Er hieß Anatol. Langsam gewöhnte er sich an uns. Wir fuhren mit ihm nach Delphi. Bei den Aufnahmen im Stadion stellte er sich geschickt an. Seine Rolle schien ihm zunehmend besser zu gefallen. Bald bekam er Allüren wie ein Filmstar, weigerte sich, so zu laufen, wie wir es wünschten, und zeigte uns, wie er es sich vorstellte. Wir freuten uns über seinen Eifer, und schließlich verstanden wir uns sehr gut.
Als wir mit unserer Arbeit fertig waren, fuhren wir mit ihm zur Deutschen Botschaft und gaben ihm genügend Geld, daß er zu seinen Eltern zurückfahren konnte. Beim Abschied weinte er herzzerreißend, er wollte sich nicht mehr von uns trennen.
Später ließen wir ihn auf Bitten seiner Eltern nach Deutschland kommen, wo er bei der «Tobis» als Schauspieler ausgebildet werden sollte. Leider hatte er eine brüchige Stimme, und es wurde nichts aus seinem Plan. Trotzdem wollte er nicht mehr von Deutschland fort. In kürzester Zeit lernte er perfekt
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