Memoiren 1902 - 1945
Zuschauer übergeht, wenn der Läufer ins Stadion kommt und mit seinen letzten Kraftreserven das Ziel erreicht. Noch waren es nur optische Visionen, die wir versuchen mußten, in die Realität umzusetzen.
Anstrengender und oft auch unerfreulich waren andere Vorarbeiten. Schon Monate vor den Spielen mußten wir gegen eine Übermacht bürokratischer Behinderungen kämpfen. Das waren Funktionäre, die für die vielen Sportverbände zuständig waren. Immer ging es darum, wo die Kameras postiert werden durften. Eigentlich war jede Kamera im Innenraum des Stadions störend. Ich mußte im Kampf mit den Funktionären viel Geduld und Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht aufzugeben. Wurde endlich ein Standort genehmigt, kamen neue Proteste, meist von ausländischen Sportfunktionären. Bei diesen Verhandlungen erwies es sich oftmals als Vorteil, daß ich eine Frau war.
Nahezu aussichtslos war es, die Genehmigung für die Gruben im Innenraum des Stadions zu erhalten. Um gute Aufnahmen von den Sportlern zu erhalten, mußte man versuchen, sie gegen einen ruhigen Hintergrund aufzunehmen, am günstigsten gegen den Himmel. Das war aber nur mit möglichst tiefstehenden Kameras zu machen. Nur so konnte vermieden werden, daß hinter den Köpfen Stangen, Nummernschilder oder andere das Bild störende Gegenstände sichtbar wurden und die Bildwirkung beeinträchtigten. Es war keineswegs meine Absicht, wie so manche Journalisten schreiben, die Athleten auf «schön» zu idealisieren. Die Kameraleute sollten aus Gruben filmen, in denen sie Sportler und Zuschauer am wenigsten störten. Aber mit der Erlaubnis dieser Anlagen sah es hoffnungslos aus, nicht eine dieser Gruben wollte man mir bewilligen. Ich mußte buchstäblich wochenlang um jede einzelne mit den Funktionären der Leichtathletik kämpfen. Aber schließlich schaffte ich es doch mit Hilfe von Professor Dr. Diem und des IOC, die Bewilligung für die wichtigsten sechs Gruben zu erhalten. Um einem Außenstehenden einen Einblick in diese Materie zu geben, möchte ich einige der Vorschriften des Leichtathletik-Organisations-Komitees, nach denen wir uns zu richten hatten, nennen.
Erlaubt wurden: Eine Grube am Hochsprung, eine am Weitsprung, am Stabhochsprung, eine in fünf Meter Entfernung vom HundertMeter-Start, eine seitlich des Ziels und eine Grube neben dem Dreisprung. Ferner zwei Türme in der Mitte des Stadions, ein Turm hinter dem Start der Hundertmeterbahn, eine Schiene um das Drahtgitter der Hammerwerfer. Dagegen durften nicht mehr als sechs Kameraleute den Innenraum des Stadions betreten, keine weitere Grube ausgehoben und auch keine automatisch auf Schienen laufenden Kameras verwendet werden.
Wir hatten uns auch mit anderen Problemen auseinanderzusetzen, die kein Komitee lösen konnte. So die Eröffnungsansprache Hitlers, die nach olympischer Tradition nur aus ein paar Worten bestehen darf. Auf der Ehrentribüne war für die große Tonkamera kein Platz. Wo immer wir sie hinstellen würden, verdeckte sie die Aussicht der Ehrengäste. Einen Turm zwischen den Zuschauern zu bauen, wurde mir nicht gestattet. Es blieb mir nichts übrig, als darüber mit Hitler persönlich zu reden. Das erwies sich als schwierig. Hitler, den ich seit meiner Romreise nicht mehr gesehen hatte, sei, sagten die Adjutanten, mit Terminen überbelegt. Aber dann kam es doch zu einem kurzen Gespräch.
Ich hatte einen Plan mitgebracht, in dem die Standorte der Tonkameras eingezeichnet waren - aus Platzmangel konnten sie nur neben dem Geländer der Tribüne aufgestellt werden, so daß die Ehrengäste mit einiger Mühe an den Kameras vorbeikämen. Nachdem Hitler sich das angeschaut hatte, sagte er: «Sie können Ihre Kameras dort aufstellen. Ich genehmige es. Es sind ja nur wenige Minuten, in denen sie stören.» Ich atmete erleichtert auf. Dann wechselten wir noch einige Worte über die Olympiade. Wie schon in München, erklärte Hitler auch hier, er wäre an dieser Veranstaltung nicht interessiert.
«Ich bin froh», sagte er, «wenn der ganze Olympia-Rummel vorüber ist, am liebsten würde ich diese Spiele überhaupt nicht besuchen.» Ich war sprachlos, es befremdete mich auch, daß er nickt das geringste Interesse für meinen Film zeigte.
Trotzdem besuchte Hitler das Stadion. Seine Umgebung hatte ihm eingeredet, seine Anwesenheit würde die deutschen Sportler anspor
nen. Nachdem schon am ersten Tag, an dem Hitler zusah, zwei Deutsche Goldmedaillen gewannen, kam er dann
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