Memoiren 1902 - 1945
früh waren wir startbereit. Ich gab noch die letzten Anweisungen für die Einteilung der Kameraleute. Die Motive des ersten Tages waren überwältigend: Der Einmarsch der Nationen, die Ankunft des Fackelläufers, das Entzünden des Olympischen Feuers, Hitlers Worte zur Eröffnung, die zu Hunderten aufsteigenden Tauben, die von Richard Strauss komponierte Hymne. Um das Ganze erfassen zu können, hatten wir noch 30 weitere Kameras eingesetzt. Sechzig Operateure filmten die Eröffnungsfeier.
Ein großes Problem stellten die zwei Tonkameras auf der Ehrentribüne dar, die wir wegen Platzmangel an das Geländer der Tribüne anseilen mußten. Auch der Kameramann und sein Assistent wurden
angeseilt, sie konnten nur hinter dem Geländer stehen.
Während ich von einem Operateur zum ändern lief, um die letzten Instruktionen zu geben, wurde ich plötzlich gerufen. Ein aufgeregter Mitarbeiter rief: «SS-Leute versuchen, die beiden Tonkameras von der Tribüne abzumontieren.» Erschrocken lief ich zur Ehrentribüne. In der Tat waren die Männer schon dabei, die Seile zu lösen. Ich sah das verzweifelte Gesicht meines Kameramannes. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich schützend vor die Kamera zu stellen. Die SS-Leute erklärten sie hätten den Befehl dazu von Reichsminister Goebbels erhalten, der für die Sitzordnung der Ehrengäste auf der Tribüne zuständig sei. Wütend machte ich ihnen klar, daß der Führer es genehmigt hatte und die Kameras bleiben müßten. Die SSLeute waren verunsichert, sie zögerten. Als ich ihnen sagte, daß ich bleibe, bis die Spiele beginnen, verließen sie ratlos und schulternzukkend die Tribüne. Ich wagte es auch nicht, diesen Platz zu verlassen, da ich fürchtete, sie könnten zurückkommen.
Die ersten Ehrengäste trafen ein, meist ausländische Diplomaten. Die Tribüne und die Ränge füllten sich. Es war mir einigermaßen peinlich, so angeseilt an dem Geländer zu stehen, und ich wurde immer nervöser, meinen Kameraleuten keine Anweisungen mehr geben zu können. Bei der Eröffnungsfeier war das besonders wichtig, es mußte viel improvisiert werden.
Da betrat Goebbels die Tribüne. Als er mich und die Kameras erblickte, sprühte sein Blick vor Zorn. Er schrie mich an: «Sind Sie wahnsinnig geworden? Sie können hier nicht bleiben! Sie zerstören das ganze feierliche Bild. Machen Sie sofort, daß Sie und die Kameras wegkommen!»
Zitternd vor Angst, Wut und Empörung stürzten mir die Tränen übers Gesicht, und ich stammelte: «Herr Minister, ich habe rechtzeitig den Führer um Genehmigung gebeten - und sie auch erhalten. Es gibt keinen anderen Platz, um die Eröffnungsansprache aufzunehmen. Es ist eine historische Zeremonie, die in einem Olympiafilm nicht fehlen darf.»
Goebbels beeindruckte das überhaupt nicht. Er schrie weiter: «Warum haben Sie die Kameras nicht auf die andere Seite des Stadions gestellt?»
«Das ist technisch unmöglich! Die Entfernung ist viel zu groß.»
«Warum haben Sie nicht einen Turm neben der Tribüne gebaut?»
«Wurde mir nicht erlaubt.»
Es schien, als ob es Goebbels vor Wut fast zerriß. In diesem Augenblick betrat Generalfeldmarschall Göring in weißer Prachtuniform die Ehrentribüne. Für Eingeweihte hatte diese Begegnung besonde
ren Reiz. Sie wußten, daß sich die beiden grundsätzlich nicht ausstehen konnten. Mein besonderes Unglück war, daß Goebbels für die Plazierung der Ehrengäste auf der Tribüne verantwortlich war - und ausgerechnet an dem Eckplatz, den er für Göring reserviert hatte, einer der besten Plätze in der ersten Reihe, standen unsere Kameras und versperrten die Aussicht. Um sich vor Göring zu rechtfertigen und seine Unschuld zu demonstrieren, beschimpfte mich Goebbels noch lauter. Da hob Göring seine Hand - Goebbels verstummte-, dann wandte sich Göring zu mir und sagte mit versöhnlicher Stimme: «Na, Mädchen, weine mal nicht. Ich werde mit meinem Bauch hier schon Platz finden.»
Zum Glück war Hitler noch nicht eingetroffen, aber viele der Ehrengäste waren Zeugen dieser peinlichen Szene.
Die Legende um Jesse Owens
V on nun an hat mich die Arbeit aufgefressen. Ich habe diese Olympischen Spiele kaum miterleben können. Oft hatte ich keine Ahnung, was sich ereignete. Zum Beispiel habe ich die Tragödie der deutschen Frauenstaffel, wie Ilse Dörffeldt mit zehn Metern Vorsprung vor der favorisierten Amerikanerin den Stab fallen ließ, nachdem sie ihn schon übernommen
Weitere Kostenlose Bücher