Memoiren 1902 - 1945
hatte, den Aufschrei der Zuschauer nicht erlebt. Ich mußte an zu vielen Stellen zugleich sein. Erst im Schneideraum habe ich diese Szene gesehen.
Wir wollten mit diesem Film etwas Neues schaffen, und das bedeutete, daß wir technisch experimentieren müßten. Hans Ertl hatte eine automatische Katapult-Kamera entwickelt, die neben den 100Meter-Läufern herfahren konnte. Damit hätten wir Aufnahmen bekommen, die es noch nie gab: Es wurde ihm von einem Schiedsrichter verboten. Um das Stadion aus der Vogelperspektive zu filmen Hubschrauber gab es noch nicht -, haben wir Versuche mit einem Ballon gemacht. Jeden Vormittag ließen wir ihn, mit einer kleinen Handkamera versehen, aufsteigen. Mit Hilfe eines Inserats in der «BZ am Mittag», in dem wir für den Finder der Kamera eine Belohnung aussetzten, haben wir unser Gerät immer wieder zurückbekommen.
Um die Entscheidung bei den Ruderregatten in Grünau zu bekommen, bauten wir einen Steg, 100 Meter lang, auf dem Schienen montiert wurden. So konnte die Kamera, auf einem Wagen festgemacht, den dramatischen Endspurt der Boote bis ins Ziel verfolgen. Unser Versuch, diesen Endkampf auch aus der Luft aufzunehmen - wir hatten uns hierfür von der Luftwaffe einen Fesselballon ausgeliehen -, wurde vereitelt: Nur wenige Minuten vor Beginn der Wettkämpfe wurde er uns verboten - wegen Unfallgefahr. Dabei befand sich unser Ballon mit dem Kameramann schon in der Luft und schwebte direkt über dem Ziel. Nun mußte er schnellstens verschwinden. Ich heulte vor Wut.
Den Reitern der «Military» haben wir die schon genannten kleinen Kameras mit ihren fünf Metern Film an den Sattel gebunden. So erzielten wir besondere Effekte; zwar waren die meisten Bilder verwackelt aber die wenigen brauchbaren Meter lohnten das Experiment. Eine andere filmische Neuheit gelang Walter Frentz. Er konstruierte einen Drahtkorb für eine Kleinkamera, hängte ihn den Marathonläufern im Training um, welche die Läufer selber auslösen konnten. So entstanden auch von dieser Disziplin ungewöhnliche Aufnahmen.
Mit vier Goldmedaillen und zwei Weltrekorden war Jesse Owens das sportliche Phänomen der Spiele. Es gehört zu den Legenden, Hitler habe es aus rassischen Gründen abgelehnt, diesem großen Athleten nach dem Sieg die Hand zu geben. Karl Ritter von Halt, Mitglied des IOC und Präsident des Deutschen Olympischen Komitees, der die Gesamtleitung der leichtathletischen Wettkämpfe unter sich hatte, erzählte mir, wie es wirklich gewesen ist. Es ist übrigens auch in dem offiziellen amerikanischen Bericht über die «Olympic Games» zu lesen. Es soll sich folgendermaßen zugetragen haben:
Hitler hat am ersten Tag der Wettkämpfe die Sieger auf der Ehrentribüne empfangen. Das wurde ihm aber von dem französischen Präsidenten des Olympischen Komitees, Graf Baillet-Latour, untersagt, da es gegen das Olympische Protokoll verstieß. Deshalb kam es danach nicht mehr zu einem Händedruck mit irgendeinem Athleten.
Fast wäre Jesse Owens durch meine Schuld verunglückt. Eine unserer Gruben befand sich etwa zwanzig Meter hinter dem Ziel des 100-Meter-Laufs. In der Grube standen ein Kameramann und ein Assistent. Es passierte im zweiten Vorlauf der 100-Meter-Strecke: Owens fegte in unglaublicher Leichtigkeit über die Aschenbahn, in der er den damaligen Weltrekord mit der Zeit von 10,2 Sekunden unterbot, was allerdings wegen des Rückenwinds nicht anerkannt wurde. Im Auslauf konnte Owens sein Tempo kaum stoppen und wäre beinahe in unsere Grube gestürzt. Nur durch seine unglaubliche Reaktion vermochte er, blitzschnell zur Seite zu springen und so einen Unfall zu verhindern. Der Skandal blieb nicht aus. Wir mußten nicht nur diese Grube sofort zudecken, sondern auch alle anderen. Ich machte Bittgänge und habe auch den Grafen Baillet-Latour angefleht,
uns wieder in den Gruben arbeiten zu lassen. Schließlich wurde es von den Herren des IOC genehmigt.
Die Kameraleute waren folgendermaßen eingeteilt: Jeden Abend um zehn Uhr erhielt ich von zwei Mitarbeitern - es waren Cutterdie Berichte aus der Kopieranstalt Geyer über das Ergebnis der an diesem Tag entstandenen Aufnahmen. Etwa 15 000-16 000 Meter Material, wurden täglich kopiert, angesehen und beurteilt. So konnte ich jeden Tag, je nach Resultat, die Einsätze der Kameramänner wechseln. Die gut arbeitenden Operateure erhielten die schwierigen Aufnahmeplätze, die unbegabten die weniger wichtigen. Nur fünf Minuten hatte ich für
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