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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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waren. Als ich mich der ersten Männergruppe näherte, die ich mit «Grüß Gott» ansprach, wendeten sich alle von mir ab. Dann versuchte ich es bei einer anderen Gruppe - dasselbe Ergebnis. Nachdem ich auch von einer dritten Gruppe nur abweisende Blicke und ihre Rücken zu sehen bekam, gab ich es auf. So schwierig hatte ich es mir nicht vorgestellt. Der Wirt, der mir viel von den Bauern erzählte, was sich nicht sehr ermutigend anhörte, hatte gesagt, diese Menschen hätten noch nie ein Foto von sich gesehen, sie lebten völlig abgeschlossen auf ihren Berghöfen. Darin sah ich eine Möglichkeit. Ich werde sie fotografieren, vielleicht erreiche ich so mein Ziel. Ab und zu gelang es mir, einige unbeobachtete Aufnahmen zu machen. Ich sah Köpfe unter ihnen, wie von Dürer gezeichnet.
      Ich mietete mir im Wirtshaus ein Zimmer und blieb ein paar Tage, um die Leute kennenzulernen. Die Mühe lohnte sich. Plötzlich stellte ich fest, daß die Blicke nicht mehr so abweisend waren.
      Als am nächsten Sonntag nach dem Kirchenbesuch einige Bauern im Wirtshaus einen Schoppen tranken, pirschte ich mich an sie heran und schob ihnen einige Fotos zu. Erst geschah gar nichts, dann nahm einer eines der Fotos in die Hand, betrachtete es und begann zu lachen. Nun sahen sich alle die Bilder an, und es entstand ein lebhaftes Durcheinanderreden. Ich ließ einige Krüge Rotwein kommen, und der Bann schien gebrochen. Die Fotos und der Wein hatten Wunder gewirkt. Ich saß unter diesen Männern und versuchte, mich mit ihnen zu verständigen. Die meisten waren nie aus dem Sarntal herausgekommen und hatten vom Film keine Ahnung.
      Mir wurde himmelangst, wenn ich an die schweren Spielszenen dachte, die im Drehbuch vorgesehen waren, z. B. an eine Verfolgung auf der Dorfgasse, ein ausgelassenes Fest und bestimmte dramatische Szenen. Erschwerend war auch, daß die Bauern erst im September freie Zeit haben würden, bis dahin hatten sie mit dem Heu und der Ernte zu tun. Aber das Eis war gebrochen. Sie versprachen mir, wenn ich im Herbst wiederkäme, sich frei zu machen. Trotzdem war mir bewußt, daß die Sarntaler Bauern für meinen Film ein großes Risiko blieben.
      Anfang Juni verließ unsere kleine Mannschaft Berlin. Außer mir waren es noch fünf Personen. Neben Hans Schneeberger, seinem Assistenten Heinz von Javorsky, war Waldi Traut dabei, damals noch ein junger Student, einige Jahrzehnte später erfolgreicher Filmproduzent bei Ilse Kubaschewskis «Gloria-Film». Ihm vertraute ich meine bescheidene Kasse an; er war mit einem Monatsgehalt von 200 Mark einverstanden. Unser fünftes Mitglied war Karl Buchholz, ein tüchtiger Aufnahmeleiter, er wurde zu unserem Mädchen für alles und war ein echter Schatz, der in den schwierigsten Situationen immer einen Ausweg wußte. Und unser sechstes Mitglied war Walter Riml, der die Standfotos machen sollte. Er hatte das noch nie gemacht, aber einen «Profi» als Fotografen konnte ich mir nicht leisten.
      Vor Beginn unserer Aufnahmen gab es noch eine böse Panne. Wir wollten, von Innsbruck kommend, über den Brenner nach Bozen fahren. Die italienischen Zöllner, die in unserem Gepäck fast 20 000 Meter unbelichtetes Filmmaterial und eine professionelle Kameraausrüstung fanden, verlangten Zollgebühren und eine Kaution, die unserer mageren Kasse den Todesstoß versetzt hätte. Dieses Geld hatten wir nicht. Erklärungen, wir würden ja alles aus Italien wieder zurückführen, alles Bitten blieb ohne Erfolg. Wir mußten den Zug ohne uns weiterfahren lassen. Ratlos und verzweifelt hockte ich auf einem Stein. Eine Wahnsinnsvorstellung, jetzt alles aufgeben zu müssen, so kurz vor dem Ziel. Auch meine Kameraden waren verzagt. In meiner Verzweiflung beschloß ich, einen telegrafischen SOS-Ruf an Mussolini loszulassen, in dem ich ihm unsere Lage schilderte und um Erlaß der Zollspesen bat. Nach nur sechs Stunden kam die Antwort. Sie war positiv. Die Zöllner machten große Augen, und wir durften glückselig über die Grenze fahren.
      In Bozen feierten wir im Hotel «Zum Mondschein» unseren Sieg. In so fröhlicher Stimmung war ich schon lange nicht. Trinken konnte jeder nach Herzenslust - der Wein war ja hier so herrlich billig.
      Bald danach waren wir im Tessin. Um zu unserem Dörfchen am Wasserfall zu gelangen, mußten wir zwei Stunden zu Fuß gehen. Einheimische aus dem Maggiatal schleppten unser Gepäck. In Foroglio waren wir von der Welt fast abgeschlossen. Ohne Post, Telefon und Zeitungen

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