Memoiren 1902 - 1945
Aufnahmen schon sehen. Das war notwendig, weil wir mit verschiedenen Farbfiltern experimentierten.
Um möglichst echte Aufnahmen zu bekommen, wollte ich das Innere der Almhütten, Bauernhäuser und der Dorfkirche an den Originalplätzen aufnehmen. Dazu brauchten wir einen Lichtwagen, den ich aus Wien kommen ließ. Es war nicht sicher, ob der Versuch gelingen würde. Wir besaßen noch keine Erfahrung. Damals entstanden Innenaufnahmen grundsätzlich im Atelier. Doch «Papa John», dem der Lichtwagen gehörte, bewährte sich großartig. Nicht ein einziges Mal versagten die Scheinwerfer. Und das war kein einfaches Problem. Kabel bis zu hundert Meter Länge mußten über die Felswände hinauf zur Burg Runkelstein gezogen werden, wo die ersten Aufnahmen mit den Sarntaler Bauern gedreht werden sollten.
In der Nacht davor schlief ich unruhig. Wir hatten uns in dem Gasthof in Sarntheim einquartiert. Über den Wirt hatte ich etwa vierzig der Bauern, die ich nach meinen Fotos ausgesucht hatte, um sieben Uhr früh auf den Marktplatz bestellt. Aber würden sie auch kommen? Davon hing die Fertigstellung unseres Films ab. Was könn ten wir nur tun, wenn sie nicht kämen? Ich wälzte mich in meinem Bett von einer Seite auf die andere. Dieser Film war schon eine aufregende Sache. Zum Unglück fing es auch noch zu regnen an. Ich stand auf und schaute aus dem Fenster: Ein richtiger dicker Landregen. Bei diesem Sauwetter würde mit Sicherheit keiner kommen. Dabei durfte ich keinen Tag mehr verlieren. Mathias Wieman, mein Hauptdarsteller mußte an sein Theater nach Berlin zurück.
Es dämmerte. Von meinem Fenster konnte ich unmittelbar auf den Marktplatz hinabsehen. Keine Menschenseele war in dem Regen zu entdecken. Es war aber noch nicht sieben, da kamen die ersten, dann kamen mehr. Mit riesigen Regenschirmen bewaffnet, standen sie auf dem Platz. Unter ihnen sah ich einen hinkenden Alten und zwei alte Frauen, die ihren Sonntagsstaat, große glänzende Atlasschürzen, angelegt hatten. Und wieder näherte sich eine Gruppe, es schien eine ganze Familie zu sein. Nun kamen immer mehr. Ich war selig, am liebsten hätte ich sie alle umarmt. Sie waren trotz der Regengüsse gekommen! Ich lief zu ihnen hinunter und schüttelte jedem einzelnen die Hand.
Die Bauern warteten geduldig auf die Dinge, die da kommen sollten. Unterdessen trafen die beiden bestellten Postautos ein, die alle nach Schloß Runkelstein bringen sollten. Zunächst wollten einige, besonders die Alten, nicht einsteigen. Sie waren noch nie in so einem Ungetüm gefahren. Aber nachdem ich allen, die verängstigt waren, gut zugeredet hatte und dabei auch von den jüngeren Bauern unterstützt wurde, verschwand der Widerstand, und schließlich wollte keiner mehr zurückbleiben. Die Wagen waren vollgepfropft: Viel mehr Bauern waren gekommen als bestellt waren.
Nach einer Fahrt von 20 Kilometern erreichten wir das alte Schloß Runkelstein, eine verwilderte Burgruine. Alles war gut vorbereitet, und unter den alten Eichen und schattigen Buchen waren Holztische und Holzbänke für die Bauern aufgestellt. Hier bekamen sie vor allem so viel Wein, wie sie haben wollten. Unglaublich, was Alkohol bewirken kann. Sie verloren schnell ihre Hemmungen und entwickelten sogar großes Interesse an unseren Filmgeräten. Um die Sarnthaler nicht kopfscheu zu machen, begannen wir mit einigen leichten Aufnahmen, und die Bauern waren völlig unbefangen. Es ging so gut mit ihnen, daß wir noch am gleichen Tag zu schwierigeren Szenen übergehen konnten. Mit erstaunlicher Intelligenz begriffen sie besser als mancher Schauspieler, daß es auf Natürlichkeit ankam. Einer von ihnen, der sein Tal noch nie verlassen hatte, sagte, von einigen Schoppen Wein etwas angeheitert: «I war miar moa Pfeiffn anzünden, dös schaut immer guat aus.»
Am ersten Tag filmten wir bis zum späten Abend. Dann mußten die Bauern wieder in ihr Dorf gebracht werden. Todmüde, aber glücklich fiel ich in dieser Nacht in tiefen Schlaf. Noch eine Woche mußten wir durchhalten, dann war das Schwerste geschafft. Was meine Mitarbeiter in dieser Zeit leisteten, war unglaublich. Bis in die dritte und vierte Nachtstunde hinein schleppten sie täglich Kabel und Scheinwerfer auf die hochliegende Burgruine hinauf.
Der letzte Tag auf Schloß Runkelstein war gekommen. Die Aufnahmen mußten zu Ende gebracht werden, da die Bauern schon am nächsten Tag nicht mehr frei waren. Sehr früh begannen wir mit unserem Pensum.
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