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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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Gut, daß diese Bauern an strenge Arbeit gewohnt waren, aber als es Mitternacht wurde, hatten wir es noch nicht geschafft. Das große Fest war noch nicht inszeniert. Alle waren hundemüde, auch ich konnte mich kaum noch aufrechthalten. Ich setzte mich, das Manuskript in den Händen, auf ein leeres Bierfaß. Mir war zum Heulen elend. Seit einer Woche hatte ich kaum geschlafen und wenig gegessen - ich konnte mich kaum mehr konzentrieren. In allen Ecken lagen schlafende Bauern: Mit ihnen sollte ich nun ein ausgelassenes Volksfest filmen.
      Wie Ameisen, die Eier transportierten, schleppten meine Leute die Scheinwerfer heran, Tische, Bänke, Fässer, alles, was wir für die ländliche Festdekoration brauchten. Dann wurden die Musikanten zusammengeholt. Mit einer ohrenbetäubenden Polka weckten sie nun die ganze Gesellschaft. Und wirklich kam durch Wein und frisches Bier noch einmal Stimmung auf. Ich tanzte mit den Bauernburschen, es wurde gelacht und gezecht. Meine Leute drehten unterdessen von jeder Ecke aus. Der lange Hamburger Walter Riml, dem Schneeberger eine Handkamera anvertraut hatte, kletterte in ein leeres Faß, um möglichst unbemerkt Aufnahmen einfangen zu können.
      Um zwei Uhr morgens war der Spuk vorüber. Während die Bauern nach Hause gefahren wurden und meine Jungs die Kabel einzogen, saß ich wieder auf meinem Bierfaß und strich mit einem dicken Rotstift eine ganze Manuskriptseite durch.
      Am nächsten Morgen konnten wir endlich ausschlafen. Wieman und Balazs waren schon abgereist, und in einer schnell zugenagelten Kiste schickten wir weitere 8000 Meter Film zum Entwickeln nach Berlin. Es fehlten uns nur noch die Aufnahmen mit den Bauern in ihren Stuben, Gassen und in der Kirche.
      An diese Zeit denke ich mit Rührung zurück. So unnahbar wie diese Menschen anfangs waren, so hilfsbereit zeigten sie sich jetzt. Sie waren zu allem bereit. Wir durften sie sogar während des Gottesdienstes in der Kirche filmen. Selbst der Geistliche spielte mit. Es war uns gelungen, ihre Herzen zu erobern.
      Der Abschied wurde uns nicht leicht gemacht. Schon in aller Frühe brachten uns die Sarntaler ein Ständchen, und ein altes Mütterchen drückte mir selbstgemachte Wachsblumen in die Hand. Blumen, die nie verwelken. Einige Sarntaler wollten sich überhaupt nicht von uns trennen. Sie begleiteten uns nach Bozen.
      Es war Herbst geworden, Mitte September. Unser Kreis war wie zu Anfang auf sechs Personen zusammengeschmolzen, und der Lichtwagen war schon wieder in Wien. Für meine Kletterszenen mußten wir noch einmal hinauf in die Brenta. Es war allerhöchste Zeit. In den Bergen lag schon der erste Schnee, und den konnten wir in unserem Sommerfilm ganz und gar nicht gebrauchen. Außerdem mußte ich barfuß klettern, nur mit Lumpen am Körper und ungesichert. Die kaum sichtbaren Stahlseile gab es noch nicht. Zum Glück bescherte uns der Monat noch ein paar warme Tage, so daß wir schließlich alle Aufnahmen bekamen.
      Auf den Tag genau, nach zehn Wochen, konnte ich nach Berlin zurückfahren. Das Aufregendste, das mich erwartete, war die Besichtigung des Filmmaterials. Im Vorführraum betrachtete ich mit fast angehaltenem Atem unsere Aufnahmen. Sie waren stärker, als ich es mir vorgestellt hatte.
      Mit Harry Sokal regelte ich alles Geschäftliche - unser Vertrag sah vor, daß alle Geld- und Organisationsangelegenheiten von nun an von seiner Firma übernommen würden - für mich eine große Entlastung. Nun konnte ich unbeschwert an die Aufnahmen im Atelier gehen. Wir brauchten nur zwei Arbeitstage in der Dekoration der Kristallgrotte unser einziger Atelierbau, und er war dem Architekten hervorragend gelungen. Er hatte sich einen Waggon mit großen Glasstücken kommen lassen, wahrscheinlich Reste aus einer Glasfabrik, und daraus echt wirkende Kristalle schleifen lassen. Diese Dekoration kam auf 10 000 Mark, ein Drittel der Kosten sämtlicher Außenaufnahmen.
      Nun begann für mich eine aufregende Arbeit. Am liebsten hätte ich den Schneideraum nicht verlassen, so sehr war ich von dieser Tätigkeit gefesselt. Da ich aber mit Ausnahme der in Paris gemachten Kürzungen an dem Palü-Film noch nie einen Film geschnitten hatte und mir auch keinen Schnittmeister leisten konnte, fiel es mir schwer. Ich war mit meiner Arbeit unzufrieden. Immer wieder änderte ich den Schnitt, verlängerte oder verkürzte die Szenen, aber es fehlte die Spannung. Da entschloß ich mich, Fanck um Hilfe zu bitten.
      Abends

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