Memoiren 1945 - 1987
dann ist verständlich, daß dieses reine, klare Wasser für sie eine Kost barkeit war. Da alle nett zu ihnen waren, verloren sie bald ihre Scheu. Ich war gespannt, was sie außer dem Wasser am meisten beeindruckte. Es war nicht der schön gepflegte Rasen oder die Blumen, es war etwas anderes. Voller Entzücken betrachteten sie in der Halle des Hauses die Jagdtrophäen des Hausherrn, die großen Büffelhörner und die gewaltigen Elefantenzähne. Das faszinierte die Nuba, das Jagdfieber brach bei ihnen durch. In ihren heimatlichen Bergen gab es wegen des Wassermangels kaum noch Wild.
Nun bekamen wir gut zu essen, Brot, Früchte, Butter und Honig, die Nuba einige Liter Milch, auch ein Wunder für sie, denn schon eine kleine Schale Milch ist in Tadoro fast ein Luxus. Dann gab es Tee, und, was sie so gern mögen, viel, viel Zucker.
Sofort nach dem Frühstück fuhr ich mit ihnen auf den Markt, um sie einzukleiden. Das Praktischste für sie waren die Galabias, das meistgetragene Kleidungsstück im Sudan, jenes lange Gewand, das vor Staub und Sonne schützt und außerdem eine kleidsame Tracht ist. Natu wählte eine türkisfarbene Galabia, also wollte Dia unbedingt die gleiche haben, aber in dieser Farbe gab es keine mehr. Der Händler bemühte sich, eine gleiche zu finden, und brachte schließlich eine hellgrüne herbei. Da wurde Dia bockig. Er wollte die nicht und fing wie ein kleines Kind fast an zu weinen, und erst, als ich ihm sagte, nun bekäme er gar keine, zog er schmollend die hellgrüne über.
Bald war dieser Schmerz vergessen, und sie kamen aus dem Staunen nicht heraus. Die vielen Schuhe, Tücher und die Unmenge von anderen Sachen waren für sie reine Wunder. Ich kaufte noch einige Wolldecken für die alten Frauen, die nachts frieren, und noch andere praktische Sachen, die ich gerade sah. Mir verblieb nur noch wenig Zeit. Ich hatte mich noch polizeilich abzumelden.
Beim Verpacken der Kisten kamen meine beiden mit Tüchern umwickelten Leicas zum Vorschein. Ich mußte sie im letzten Augenblick der überstürzten Abreise in eine Kiste gelegt haben. So beschämend das für mich war, meldete ich es dennoch der Polizei.
Am Abend besuchte uns Abu Bakr. Mit Freude sah ich, wie er Dia und Natu begrüßte, so herzlich wie ein Vater. Er umarmte sie, und die beiden strahlten. So konnte ich sie ihm guten Gewissens nach meinem Abflug anvertrauen.
Das Flugzeug startete wenige Minuten nach Mitternacht. Natu und Dia bestanden darauf, mich in den Himmel fliegen zu sehen. Sie hatten nicht die Absicht, in Khartum zu bleiben, und wollten
schon am nächsten Tag zurückreisen. Allein war ihnen die große Stadt zu unheimlich, und vor allem wollten sie möglichst bald wieder bei ihren Familien sein.
Wenn in Khartum ein Ausländer wegflog, kamen viele Bekannte zum Flughafen. Die Reisenden warten unten, die Freunde oben auf der Terrasse. Dort standen nun auch meine beiden Nuba. In ihren grünen Galabias sahen sie wie zwei Weihnachtsengel aus. Es war für die Anwesenden ein Spaß, wie ich mich mit ihnen in ihrer Sprache unterhielt, die niemand außer uns dreien verstehen konnte. Die Nuba wollten noch alles mögliche wissen, auch über das Flugzeug, das sie «nomandia» nannten und das ihnen wie ein Riesenvogel erschien, vor allem aber, wann ich wiederkomme. Da fiel mir etwas Nettes ein, inspiriert durch den großen Mond, der über uns stand. Ich hatte Khalil, einem Lehrer in der Schule von Rheika, ein Tonbandgerät geschenkt, mit dem er für mich Sprache und Musik der Nuba aufnehmen sollte. Nun versuchte ich Natu und Dia zu erklären, daß ich Khalil Tonbänder schicke, auf denen ich ihnen erzähle, was ich in «Alemania» tue und wie es mir geht. Sie sollen, immer wenn Vollmond ist, Khalil besuchen und sich meine Bänder vorspielen und ihre Antworten aufnehmen lassen. Ganz einfach war es nicht, ihnen dies zu erklären, aber sie verstanden mich und strahlten.
Diese ungewöhnliche «Postverbindung» war nicht schwierig zu bewerkstelligen. Sie funktionierte lange Zeit, da es in Kadugli ein kleines Postamt gibt und Khalil zweimal im Monat dort zu tun hatte. So konnte ich über diese unermeßlich weite Entfernung mit meinen Nuba-Freunden ständig in Verbindung bleiben.
Obgleich diese Afrika-Expeditionen mich weder gesünder noch jünger oder schöner machten, sondern im Gegenteil das Letzte von mir forderten, ist der Wunsch geblieben, nach Afrika zurückzukehren und, wenn irgend möglich, für immer
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