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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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spielte ich den Räuber, schlich ihm leise etwas gebückt nach, sprang ihn an, entwendete ihm die Tasche und lief davon. Die Nuba schrien vor Lachen, bis vielen die Tränen runterliefen.
      Meine Tage waren gezählt. Einen Tag hatte ich schon zugegeben, und schon in zwei Tagen erwarteten mich meine Freunde in Khartum. Diesmal fiel mir der Abschied etwas leichter. Wir hatten die große Lorre, und viele wollten mich bis Kadugli begleiten. Es war ein Opfer für sie, da sie noch in dieser Nacht mehr als 50 Kilometer zurücklaufen mußten, um am nächsten Tag in Tadoro ihr größtes Ringkampffest zu feiern, das nur einmal im Jahr veranstaltet wird.
      Es war bereits dunkel, als wir Tadoro verließen. Die Stimmung der Nuba war bedrückt. Etwa 15 Kilometer vor Kadugli blieb der Wagen stehen, die Lichtmaschine war defekt. Da der Fahrer den Schaden nicht reparieren konnte, blieb nichts anderes übrig, als auf ein Fahrzeug zu warten, das uns nach Kadugli mitnähme, wo wir hofften, Ersatzteile zu bekommen. Erst jetzt wurde mir meine kritische Lage bewußt. Ich hatte alles zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Auf keinen Fall durfte ich das Flugzeug verpassen. Wir stiegen aus und setzten uns an den Straßenrand. Aber meine NubaFreunde konnten nicht auf unbestimmte Zeit hier warten, sie mußten nach Tadoro zurücklaufen, um das große Fest vorzubereiten, doch sie wollten, daß ich mitkäme. Unmöglich, ich hätte über 40 Kilometer laufen müssen.
      Plötzlich sahen wir in der Dunkelheit Licht. Ein Lastwagen kam näher, vollbeladen mit Säcken und Menschen — leider aus der falschen Richtung. Wir hielten die Lorre an. Vielleicht, so hoffte ich, könnte der Wagen wenigstens meine Nuba nach Tadoro zurückbringen. Der Fahrer schüttelte den Kopf, seine Route lag weiter westlich. Da gab ich ihm bis auf eine kleine Reserve alles, was ich noch an Geld bei mir hatte. Das half. Aber nun machten die Nuba Schwierigkeiten, sie weigerten sich, ohne mich zurückzufahren. «Du mußt mitkommen», baten sie, «wir machen das Fest für dich — du bist unser Ehrengast — du kannst nicht wegbleiben.»
      So irre es war, ich ließ mich überreden. Mit Hilfe meiner Nuba als Dolmetscher — einige sprachen etwas arabisch — ließ ich meinem Fahrer sagen, er möchte mich, sobald sein Wagen repariert war, von Tadoro abholen.
      Am frühen Morgen waren wir wieder in Tadoro. Als ich aus tiefem Schlaf erwachte, waren die Nuba schon mit den Vorbereitungen für das Fest beschäftigt. In so unmittelbarer Nähe hatte ich das noch nie erlebt. Die drei besten Ringkämpfer wurden in dem Haus, in dem ich mich befand, geschmückt. Natu, Tukami und Gua. Tukami, der damals seiner Gefängnisstrafe durch die Flucht entgangen war, war nach zweijähriger Abwesenheit wieder mit Freuden aufgenommen worden.
      Die Ringkämpfer waren schon eingeascht und wurden unter Trommelwirbel eingekleidet. Ihre Frauen und Mütter banden auch mir an Arm- und Fußgelenken Bänder aus Ziegenfellen um und behängten mich mit Perlenketten. Niemand fand das sonderbar, und ich selbst hatte mich auch schon daran gewöhnt. Dann gingen die Ringkämpfer mit ihren Begleitern, mich in die Mitte nehmend, als Spitze voran zu dem Platz, der für den Ringkampf bestimmt war. Dort führten Natu und Tukami in der Mitte des Platzes einen Tanz auf, der mich an Paradiesvögel erinnerte. Sie stießen dabei Laute aus, die wie Lockrufe klangen, und bewegten ihre Hände wie indische Tempeltänzerinnen. Während des Tanzes, den ich von allen Seiten fotografierte, kamen aus allen Richtungen Nuba, die im Schatten der Bäume gewartet hatten, mit Trillerpfeifen und Fahnen angelaufen, und in weniger als zehn Minuten waren wir von Hunderten, später von Tausenden umringt, ein unbeschreibliches Schauspiel. Ich versuchte, mit der Kamera festzuhalten, was ich nur konnte, vergaß die Zeit und darüber auch, daß ich schon längst auf dem Weg nach Khartum sein müßte.
      Mitten im Gewühl erschien zu meinem Schrecken die Lorre, die mich abholen sollte. Eigentlich hätte ich sofort einsteigen müssen, aber — wie soll ich das erklären — ich wollte dieses faszinierende Fest zu Ende erleben. In meinem Optimismus hoffte ich, daß wir den Zug noch erreichen würden.
      Glücklicherweise wurden auch mein Fahrer und seine Begleiter von dem Fest mit seinen hübschen Mädchen so mitgerissen, daß sie mehr als einverstanden waren, die Abreise auf nächsten Morgen zu verschieben.
      Beim Hahnenschrei

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