Memoiren 1945 - 1987
Fragen, während ich mich in den Zug hineinzudrängen versuchte. Es war ein Kunststuck, die Kisten unterzubringen. Natu und Dia nahmen jeder eine und rannten mir nach, bis ich einen Waggon fand, in den man sie noch hineinschieben konnte. Während wir dabei waren, die Gepäckstücke übereinanderzustellen, setzte sich der Zug schon in Bewegung. Meine Nuba konnten nicht mehr herausspringen, und sie wollten es auch nicht. Dicht gedrängt standen wir in einem Gang und wurden von den Arabern angegafft. Ich als einzige weiße Frau und mit mir diese zwei verdächtig aussehenden, nur mit einem Hüfttuch bekleideten großen Nuba. Der Zug war viel zu schnell abgefahren. Nun blieb mir keine Wahl, ich mußte sie nach Khartum mitnehmen. Trotzdem fielen Zentnerlasten von mir ab — ich hatte den Zug noch erreicht.
Diese Eisenbahnfahrt sollte 24 Stunden dauern, vielleicht sogar länger. Natürlich hatten die Nuba keine Ahnung von Toiletten oder ähnlichem, sie kannten keinen Wasserhahn. Wir zwängten uns durch den Gang und warteten vor einer Toilette, bis sie frei wurde. Ich zeigte ihnen, wie man einen Hahn aufdreht und wieder zumacht, daß man sich die Hände waschen und auch trinken kann, und was man sonst noch in so einem kleinen Raum macht. Ich habe es nur pantomimisch angedeutet — sie verstanden und haben sich totgelacht.
Dann ließ ich sie allein und versuchte, mich zu den Wagen der Ersten und Zweiten Klasse durchzuschlängeln, um etwas Eßbares aufzutreiben. Es gelang mir auch, Araber sind ja von Natur sehr hilfreich. Sie hatten in den Abteilen ihre Eßpakete ausgebreitet, und als sie meine begehrlichen Blicke sahen, gaben sie mir sofort etwas ab, Brot und Hammelkoteletts. Natürlich dachten sie, es sei für mich, aber ich verschwand schnell, um es meinen hungrigen Nuba zu bringen. Später ging ich in ein anderes Abteil, machte wieder hungrige Augen und habe auch wieder etwas bekommen, mit der Aufforderung zu bleiben. Ich verdrückte mich und brachte Dia und Natu die zweite Portion, die wir unter uns teilten. Sitzplätze hatten wir noch nicht, aber wir konnten auf den Kisten sitzen. Wie gut, daß ich keinen Spiegel zur Hand hatte. Ich muß furchtbar ausgesehen haben, was mir später meine Freunde in Khartum gern bestätigten, die Haare voller Sand und ganz und gar verstaubt und abgespannt. Trotzdem fühlte ich mich ganz wohl, weil ich mein Flugzeug noch erreichen würde. Ein Araber bot mir seinen Sitzplatz an, und so konnte ich einige Stunden schlafen.
Auf halber Strecke vermißte ich plötzlich meine zwei Leica-Kameras. Auf der ersten Station nach dieser Entdeckung, es war Kosti, verständigte ich die Polizei. Sie sprach jedoch nur arabisch, und so nahmen die mitfahrenden Sudanesen an, ich beschuldigte sie des Diebstahls. Also verdächtigten die Araber meine Nuba, die in einem anderen Wagen, eingepfercht wie in einem Tiertransport, im Gang standen. Bei jeder Station, an der der Zug hielt, befürchtete ich, die Polizei würde Natu und Dia verhaften. Wie ein Löwe kämpfte ich, daß meine Freunde nicht aus dem Zug geholt wurden. Vor Müdigkeit fielen mir immer wieder die Augen zu, und schließlich konnte ich kaum noch die Gesichter um mich herum erkennen.
Um sechs Uhr morgens trafen wir in Khartum ein, erschöpft und dreckig. Meine treuen Freunde, das Ehepaar Plaetschke, stand am Bahnhof, auch ein Wagen, den Abu Bakr mit einem Fahrer geschickt hatte. Jeden Morgen seit dem 29. Dezember waren die Plaetschkes so früh aufgestanden, um mich vom Zug abzuholen. Sie waren in größter Sorge gewesen. Ein Glück, daß sie da waren, denn schon näherten sich uns Polizisten und forderten mich und die Nuba auf, mit ihnen zu kommen. Es ging um den Diebstahl. Meine Freunde konnten die Polizisten aufklären, und der ganze Spuk war vorüber.
Es tat mir in der Seele weh, was für ein trauriges Bild meine schwarzen Freunde abgaben. Wenn ich daran dachte, wie stolz und selbstbewußt sie in der Seribe oder bei ihren Ringkämpfen aussahen und wie verschüchtert und gedemütigt sie jetzt dastanden, da bedauerte ich es zutiefst, sie mitgenommen zu haben. Glücklicherweise änderte sich das bald. Wir fuhren in das Haus von Weistroffers, wo sie sich unter einer Gartendusche erst einmal gründlich waschen konnten. Immer wieder hielten sie die Hände darunter. Für sie war das viele Wasser ein noch größeres Wunder als die Eisenbahn. Wenn man an das schmutzige Wasser denkt, das sie oftmals aus den Löchern trinken müssen,
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