Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
Vom Netzwerk:
hinunterkam, sah ich bestürzt, daß Kisten ausgeladen waren, die ich für völlig unentbehrlich hielt. Horst konnte sie einfach nicht mehr unterbringen. Darunter Geschenke für meine Nuba, Perlen, Spiegel, Ketten, Tücher, auf die ich nicht verzichten wollte. Ich protestierte: «Diese Sachen müssen mitgenommen werden.»
    Horst: «Dann geht der Wagen kaputt.»
      So entstand im Schneetreiben, wir beide völlig erschöpft, eine erregte Auseinandersetzung. Ich warf einen Teil der Lebensmittel raus, und Horst verteilte die Beutel mit den Nubageschenken in alle Winkel des Wagens.
      Um sieben Uhr früh hatten wir es geschafft. Übermüdet, so daß wir kaum noch die Augen offenhalten konnten, fuhren wir im Morgengrauen mit dem schwer beladenen Landrover los. Zurück blieb Uli, der ebenfalls am Ende seiner Kräfte war. Es war Glatteis. Der überladene Anhänger machte den Wagen schwer lenkbar. Horst mußte höllisch aufpassen. Er bat mich, damit er nicht einschlief, immer mit ihm zu sprechen. Eine Pause zum Schlafen konnten wir nicht einlegen — wir hätten mit Sicherheit das Schiff in Genua verpaßt. Am Irschenberg zwischen München und Rosenheim krochen die Lastwagen nur im Schrittempo bergan. Es wurde ein nervenaufreibender Wettlauf mit der Zeit. Die österreichischen Zöllner kosteten uns über drei Stunden. Bei der Fahrt auf der eisbedeckten Straße hinauf zum Brenner wurde infolge der starken Steigung der Wagen immer langsamer, wir konnten nur noch im ersten Gang fahren. Horst machte ein bedenkliches Gesicht. Er sah im Rückspiegel Dampf. Wir bekamen einen gewaltigen Schreck. Gottlob waren es nicht blockierte Bremsen, sondern nur die Hinterreifen, die sich durch die enorme Belastung, trotz Kälte und Eis, heißgelaufen hatten.
      Horst war viel mit Lastwagen gefahren, aber noch nie in seinem Leben so müde gewesen wie bei dieser Fahrt. Schon die Vorbereitungsarbeiten hatten ihn gut zehn Kilo gekostet.
      «Ich bräuchte Streichhölzer, um meine Augen offenzuhalten», sagte er. Dann schüttelte ich ihn, bis er wieder munter wurde. Nur nicht einschlafen, war unser einziger Gedanke.
      Die Zollgrenze am Brenner, ein neuer Grund zur Besorgnis. Aber wohl wegen des heftigen Schneetreibens zeigten sich die Italiener besonders kulant und ließen uns durchfahren. Unsere Hoffnung, in Richtung Bozen etwas von der verlorenen Zeit einholen zu können, wurde enttäuscht. Dichter dicker Nebel, minimale Sicht und ein LKW nach dem anderen machten ein Überholen unmöglich. Erst vor Mitternacht waren wir endlich in Bozen. Am nächsten Tag um die Mittagszeit mußte der Wagen in Genua verladen werden. Hatten wir überhaupt noch eine Chance?
      In Bozen nur zwei Espresso, dann ging es weiter. Aber schließ lich waren wir am Rande der Erschöpfung. Von Ortschaft zu Ortschaft überlegten wir, was wir tun sollten — wir konnten nicht mehr. Kurz vor dem Gardasee fanden wir für anderthalb Stunden Schlaf ein kleines Hotel.
      Nachts um halb vier ging es weiter — es wurde hell. Die Straße war eisfrei, zum ersten Mal konnten wir ein gutes Tempo vorlegen, wir hofften doch noch unser Ziel zu erreichen. Es war ein Fahren nach der Uhr. Da platzte siebzig Kilometer vor Genua ein Reifen des Anhängers. Als Horst das Werkzeug herausholte, kullerten die Konservenbüchsen, die wir in aller Eile im letzten Moment noch in den Anhänger verteilt hatten, über die Autobahn. Während Horst fieberhaft den Reifen wechselte, sammelte ich die Dosen auf. Die Minuten des Reifenwechsels waren nicht mehr aufzuholen. Wir konnten nur noch auf Glück hoffen.
      Als wir in Genua ankamen, ahnte ich schon das nächste Hindernis. Wie sollten wir in diesem riesengroßen Hafen zum richtigen Kai durchfinden? Wir wurden von einer Hafengegend in die andere geschickt. Ich fragte Hafenarbeiter, Polizisten — niemand konnte uns Auskunft geben. Der Verladetermin war bereits um eine Stunde überschritten. In meiner Verzweiflung packte ich einen Italiener am Arm und versuchte, ihm mit Gesten klarzumachen, er sollte mit uns kommen. Der schaute mich an, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf. Ich zeigte auf meine Uhr und auf den Hafen — er schüttelte nur den Kopf und ging fort. Ich lief ihm nach. Vor einem Haus hielt er an und machte Zeichen, daß er wiederkommen würde. Ich wartete und wartete — es erschien mir wie eine Ewigkeit. Als er zurückkam, erkannte ich ihn zuerst nicht — er war in Uniform, ein Polizist, ein liebenswürdiger Mann, der nun bereit

Weitere Kostenlose Bücher