Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
Vom Netzwerk:
mit anderen Fotografen im Graben stehen, der rings um das Stadioninnere lief.
      Noch schwieriger waren die Aufnahmen von Disziplinen, die in den Hallen stattfanden, wie Turnen, Basketball, Radfahren, Schwimmen, Fechten etc. Dafür bedurfte es wegen Platzmangels eines Sonderausweises. Meist erhielt ich ihn nicht.
      Abends fuhr ich zum Presse-Zentrum, wo die Filme entwickelt werden konnten, und Horst brachte sie sofort zum Flughafen, damit sie am nächsten Vormittag in London wären. Ich wußte nicht, ob die Fotos den Erwartungen der Redaktion entsprachen, und war erleichtert, als Michael Rand mich anrief und mir versicherte, die Aufnahmen gefielen. Was ich außerdem erfuhr, bedrückte mich: Die «Sunday Times» war, weil sie mich als Fotografin engagiert hatte, Angriffen ausgesetzt. In einem Brief an die «Sunday Times», den die Zeitung veröffentlichte, hatte die Britische Sektion des Jüdischen Weltkongresses heftigst gegen meine Arbeit protestiert. Die angegebenen Gründe waren identisch mit denen der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Während mich aber in Berlin niemand verteidigte, nahm mich die «Sunday Times» in Schutz. In der in «Sunday Times» ebenfalls veröffentlichten Erwiderung hieß es:

    «Wir beauftragten Leni Riefenstahl die Olympischen Spiele 1971 für uns
    aufzunehmen, da sie, wie ihre eben eingetroffenen Bilder es beweisen, auf diesem
    Gebiet die beste Fotografin in der Welt ist.
    Leni Riefenstahl ist zweimal von deutschen Gerichten überprüft und von Schuld
    freigesprochen worden. Ihre frühere Verbindung mit der Nazi-Partei ist kein Grund
    für einen ständigen Boykott ihrer Arbeit, dann könnten die Fernseh- und Filmge
    sellschaften niemals mehr ihre klassischen Filme von der Olympiade 1936 sehen.
    Tatsächlich werden sie aber immer wieder gezeigt.
    Keine offizielle Beschwerde erfolgte, als wir vor fünf Jahren in der ‹Sunday
    Times› ihre brillanten Aufnahmen der ‹Nuba› brachten. Wir sympathisieren mit
    ihren Gefühlen, glauben aber nicht, daß sie eine logische Basis haben.
    Der Herausgeber.»

      Diese Anerkennung war eine Herausforderung an mich. Ich durfte die Redaktion nicht enttäuschen, aber gute Bilder zu erreichen, war ungeheuer schwierig. Der Kampf der Fotografen um Ausweise und gute Plätze war mörderisch. Oftmals hockte ich stundenlang in einer der Sporthallen auf dem Fußboden, um ein paar besondere Aufnahmen zu bekommen.
      Da ereignete sich ein grauenhaftes, unfaßbares Verbrechen. Sechs Tage vor Beendigung der Spiele ermordeten arabische Terroristen im Olympischen Dorf zwei israelische Sportler und hielten neun als Geiseln fest. Die Spiele wurden unterbrochen. Wir waren alle vor Entsetzen gelähmt.
      Es folgten Stunden unerträglicher Spannung. Die Terroristen drohten, die Geiseln zu erschießen, wenn ihre Forderung, 200 Häftlinge aus israelischen Gefängnissen zu entlassen, nicht erfüllt werde. Das Ultimatum lief um 12 Uhr ab, es wurde jedoch im Lauf des Tages immer wieder verlängert. Scharfschützen hatten das Haus, in dem sich die Mörder mit ihren Geiseln befanden, umstellt, während Unterhändler mit den Terroristen verhandelten. Ab und zu erschien einer der Geiselnehmer maskiert auf dem Balkon. Die Fotos der Banditen gingen um die Welt.
      Stundenlang warteten wir voller Unruhe im Presse-Zentrum auf Nachrichten, bis die Meldung kam, die Terroristen seien mit ihren Geiseln in Hubschraubern zum Flughafen Fürstenfeldbruck gebracht worden. Nach weiteren ungewissen Stunden gab es eine Sensation. Es war spät in der Nacht, als ein Pressesprecher verkündete, die Terroristen konnten überwältigt und alle Geiseln befreit werden. In der vollbesetzten Pressehalle brach Jubel aus. Erleichtert, daß es unter den Geiseln keine weiteren Opfer gegeben hatte, fuhr ich in mein Hotel. Aber wie furchtbar war es, als am nächsten Morgen bekannt wurde, daß es sich um eine Falschmeldung gehandelt hatte. Die Wahrheit war entsetzlich. Bei der dramatischen nächtlichen Befreiungsaktion waren auf dem verdunkelten Flugplatz bei einer Schießerei alle Geiseln ums Leben gekommen.
      Trotz dieser Tragödie gingen die Spiele weiter. Im Einvernehmen mit israelischen Stellen faßte das IOC diesen Beschluß. Nach eintägiger Unterbrechung der Spiele fand eine Trauerfeier für die ermordeten Sportler statt. In einer Ansprache begründete Avery Brundage die Entscheidung mit den Worten, man dürfe nicht zulassen, daß eine Handvoll Terroristen den Kern der internationalen

Weitere Kostenlose Bücher