Memoiren 1945 - 1987
anderes, als daß ein Ausweis für mich nicht vorliege. Erst da erinnerte ich mich, daß der Ausweis nicht für Leni Riefenstahl, sondern für Helene Jacob beantragt worden war, um möglichst eine Ablehnung durch deutsche Stellen zu vermeiden. Der Name Jacob war kein Pseudonym, wie einige Journalisten annahmen, es war mein Paßname. Ich habe ihn nach meiner Scheidung beibehalten.
Tatsächlich fand sich der Ausweis unter dem Namen Jacob. Die Überraschung war enorm. Scheinheilig wurde ich gefragt, warum ich mich nicht an die deutschen Sportstellen gewandt hätte. Über soviel Heuchelei empört, konterte ich, daß meine Bemühungen mehrere Male abgewiesen worden seien, nicht einmal eine Eintrittskarte hätte ich erhalten. «Und darum», sagte ich, «habe ich das Angebot der ‹Sunday Times› angenommen, ich wollte die Spiele erleben.»
Es sprach sich gleich herum, daß ich für eine englische Zeitung
arbeitete. Vor dem Ansturm der Presse konnte ich mich kaum noch retten. Aus New York und Paris rief man mich an, aus Stockholm und Rom, und nun meldete sich plötzlich auch die deutsche Presse. Ich flüchtete aus meiner Wohnung und zog ins «Sheraton». Dieses Interesse wurde noch dadurch verstärkt, daß ich wenige Tage vor Eröffnung der Spiele 70. Geburtstag hatte. An diesem Tag sah ich im Kreise von Freunden Hädrichs Film «Erinnerungen an einen Sommer in Berlin», in dem auch ein Interview zwischen Joachim Fest und mir enthalten ist. Wir saßen gebannt vor dem Bildschirm und vergaßen über diesem starken Film den ganzen Trubel.
Vergebens hatte ich mich beim Deutschen Olympischen Komitee um einen Ausweis für Horst bemüht. Ich brauchte dringend Hilfe bei meinen Arbeiten. Monique Berlioux, Mitarbeiterin von Avery Brundage, verschaffte ihn mir. Kurz vor Beginn der Spiele erhielt ich wieder telefonisch anonyme Drohungen, die mich erst beunruhigten, als mich die Kripo verständigte, es lägen Morddrohungen gegen mich vor. Die Turbulenz dieser Tage und mein Arbeitspensum ließen mir glücklicherweise keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.
Es war soweit. Am 26. August 1972 begannen die Olympischen Spiele. Die Eröffnungsfeier verlief außergewöhnlich eindrucksvoll. Der Einmarsch der Nationen und die anschließenden Tänze waren ein Farbenrausch und das moderne Münchner Stadion ein bizarrer Rahmen. Was für einen Film hätte man von diesem Schauspiel machen können! Zur Zeit meines Olympiafilms vor 36 Jahren gab es noch kein gutes Farbfilmmaterial, ich konnte nur in schwarzweiß drehen. Auch die technischen Möglichkeiten der 70er Jahre waren nicht gegeben. Wir hatten kein lichtempfindliches Material, keine Zoomlinsen, keine Magnetbänder — für unsere Arbeit war das damals alles Neuland.
Dieses Mal produzierte ein Amerikaner gemeinsam mit der «Bavaria» den Olympiafilm, David Wolper, einer der erfolgreichsten Dokumentarfilm-Produzenten der Welt. Er hatte die Idee, den Film von zehn Regisseuren aus verschiedenen Nationen gestalten zu lassen. Jeder sollte seiner Begabung gemäß nur einen Komplex erhalten, wobei Mr. Wolper mir die Eröffnungs- und Schlußfeier zugedacht hatte. «Leider», sagte er bedauernd, «wurde mir von Bonn nahegelegt, auf Ihre Mitarbeit zu verzichten.»
Dieses Verhalten deutscher offizieller Stellen war ja nichts Neues, und in besonders krasser Form trat es während dieser Spiele zutage. Obwohl ich als Inhaberin des Olympischen Diploms nach den Regeln des IOC bis an mein Lebensende bei allen Olympischen Spielen einen Platz auf der Ehrentribüne beanspruchen kann, was ich damals noch nicht wußte, wurde ich von keiner deutschen Stelle zu ihren festlichen Veranstaltungen am Rande der Spiele eingeladen. Um so mehr freute ich mich über eine Einladung der Amerikanischen Botschaft in das Münchner «Amerikahaus». Zum ersten Mal seit 1936 traf ich dort Jesse Owens. Ein ergreifendes Wiedersehen. Owens umarmte und küßte mich. Wir hatten beide feuchte Augen. Einige Gäste fingen zu klatschen an, dann setzte immer stärker werdender Beifall ein, der sich bis zu stürmischem Applaus steigerte. Verwirrt und fast beschämt verließ ich die Veranstaltung.
Von nun an hätte ich mich keinen Augenblick mehr freimachen können. Von sieben Uhr früh ging es täglich bis nach Mitternacht. Die Arbeit war schwierig. Nur wenigen Fotografen war erlaubt, den Innenraum des Stadions zu betreten, aber nur von dort konnte man wirklich exzellente Sport-Aufnahmen machen. Ich mußte
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