Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
Vom Netzwerk:
diesem Augenblick sah ich, wie sich mein Wagen in Bewegung setzte und langsam die leicht abfallende Straße hinunterzurollen begann. Mit einem Satz war ich am Auto, riß die Tür auf und sprang in den fahrenden Wagen, in dem schreckensbleich meine Hanni saß. Durch den Schock vergaß sie, die Handbremse fester anzuziehen.
      Als ich aussteigen wollte, stand einer der Männer neben dem Auto. In der Dunkelheit schätzte ich ihn auf 30 bis 40 Jahre. Zu unserer Überraschung sagte er in gebrochenem Deutsch, er wolle versuchen, was für uns zu finden. Unsere Angst vor dem fremden Mann war in diesem Augenblick größer als unser Schlafbedürfnis. Schon hatte sich der Fremde neben Hanni gesetzt, und trotz gewaltigen Herzklopfens steuerte ich langsam den Wagen in die Richtung, die der Mann angab. Die dunklen Gassen wurden immer enger. Einige Male ließ er an Häusern, in denen noch Licht brannte, anhalten, aber jedesmal kam er unverrichteter Dinge zurück. Wir wagten nicht ihn zu bitten, uns allein zu lassen, obgleich dies unser einziger Wunsch war. Als wir vor einer Haustür anhielten, an der eine rote Lampe ein Bordell vermuten ließ, weigerte ich mich dort über Nacht zu bleiben. Der Mann schien ratlos zu sein, und ich hatte den Eindruck, als tue es ihm leid, uns nicht helfen zu können. Eine Weile überlegte er, dann hatte er anscheinend eine neue Idee. Wir fuhren in immer engere Straßen, und wieder überfiel mich Angst. Endlich ließ er mich anhalten.
      «Hier wohnt meine Mutter», sagte er, «ich muß sie fragen, ob sie Sie aufnimmt.»
      Dann verschwand er im Dunkeln einer Hauswand. Nun mußten wir uns entscheiden: Wegfahren, um dieser unbehaglichen Situation zu entrinnen, oder das Risiko eingehen, hier zu übernachten und unser Auto ungeschützt in dieser engen Gasse stehenzulassen. Als der Fremde zurückkam und uns aufforderte, ihm zu folgen, zögerten wir zwar, aber nachdem ich den Wagen ganz nahe an die rechte Häuserwand gefahren und abgeschlossen hatte, gingen wir mit ihm ins Haus. Dort sah ich am Ende einer steilen Treppe eine alte Frau im Nachthemd stehen. Sie hielt eine Kerze in der Hand, begrüßte uns freundlich und führte uns in ein Zimmer, in dem ein hohes Bauernbett stand. Dort ließ sie eine Kerze stehen und verschwand. Wir waren endlich allein. Das Zimmer war klein und mit Möbeln vollgestellt. Unser Bett war ein Ungetüm aus schwerem Holz. Um sich hineinzulegen, mußte man fast klettern. Wir waren viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. Trotzdem verfielen wir doch noch am frühen Morgen in einen Dämmerschlaf.
      Wie groß war unser Erstaunen, als die Mutter am nächsten Morgen unser Zimmer betrat, sauber gekleidet, nett frisiert, und uns mit einem freundlichen Lächeln zum Frühstück einlud. Wir folgten ihr die Treppe hinunter, dann noch eine Treppe tiefer in die freundliche Wohnküche, wo ihr Sohn, ebenfalls mit einem frischen Hemd bekleidet, uns begrüßte. Jetzt, bei hellem Licht, erkannte ich erst sein gutmütiges Gesicht. Er konnte kaum seine Freude, uns geholfen zu haben, verbergen.
      Unsere Verblüffung wuchs, als die Mutter uns ein unwahrscheinlich gutes Frühstück vorsetzte, duftenden Bohnenkaffee, französische Backwaren, Butter, Honig und Marmelade. Das konnten keineswegs arme Leute sein, denn in der Wohnküche sah ich viele Kupfergefäße und schöne Keramiken. Während wir uns labten, brachte die Frau ein Fotoalbum. Nun erst verstanden wir den Grund dieser überraschenden Gastfreundschaft: Ihr Sohn war als französischer Soldat in deutsche Gefangenschaft geraten und hatte das Glück
gehabt, auf dem Lande bei einer Bauernfamilie zu arbeiten. Dort fand er eine so gute Aufnahme, daß er immer noch mit diesen Leuten in brieflichem Kontakt stand.
      Als wir uns beim Abschied herzlichst bedankten und ich mich erkenntlich zeigen wollte, weigerten sich beide, Geld anzunehmen. Wir schickten ihnen später aus Deutschland ein Geschenk.

    Bei Jean Cocteau

    I n Cannes und Nizza herrschte ein Autoverkehr, daß man nur im Schrittempo fahren konnte. An den schmalen Stranden der Riviera sah man in brütender Augustsonne die Menschen eng wie Heringe nebeneinander liegen. Unser Ziel war Cap Ferrat, nicht weit von Monte Carlo entfernt, wo Cocteau seine Sommerferien in der Villa Santo Sospiz verbrachte. Er hatte mich eingeladen und wollte mir dort seine Arbeiten zeigen, die er für unser Projekt «Friedrich und Voltaire» vorbereitet hatte.
      Mit ihm verlebten wir zwei unvergeßliche

Weitere Kostenlose Bücher