Memoiren 1945 - 1987
erfuhr ich durch Freunde, daß eine einflußreiche Persönlichkeit in Paris die Aufführung des Balletts im letzten
Augenblick verhindert hatte.
Neue Schneideräume
W enn es wahr sein sollte, daß Widerstand stark macht, müßte ich schon über Bärenkräfte verfügen. Mein ganzes Leben bestand nur aus Widerständen! Niemals aufzugeben, war für mich ein Gesetz. Wie hätte ich dieses Leben sonst bestehen können. Die Hoffnung, von den Japanern Geld zu bekommen, hatte sich nicht erfüllt. Die notwendigen Importlizenzen für ausländische Filme waren in Japan für 1959 schon vergeben. Ich konnte nur auf das nächste Jahr hoffen.
Das Bedrückendste aber war meine Angst um den Gesundheitszustand meiner Mutter, die im letzten Jahr von einem Auto angefahren wurde und seitdem gehbehindert war. Sie hatte ständig Schmerzen, und ihr Allgemeinzustand verschlechterte sich zusehends. Was sollte aus meinem Leben werden, wenn ich sie verlieren würde! Sie war der einzige Mensch, für den ich lebte.
Was konnte ich noch anfangen? Ich überlegte, mich in einer anderen Berufssparte zu versuchen. Hätte ich nicht schon vor meinem sechsten Jahrzehnt gestanden und die Mittel dazu gehabt, hätte ich am liebsten noch ein Studium begonnen. Alle Gebiete der Forschung und Naturwissenschaften interessierten mich. Madame Curie war in meiner Jugend mein weibliches Idealbild gewesen, nun müßte ich realistischer denken. Vielleicht sollte ich ein Foto-Atelier oder einen Kosmetiksalon aufmachen. Aber ich kannte niemand, der mir das notwendige Geld vorgestreckt hätte. Die einzige Chance, an die ich mich klammerte, war die Bewilligung eines Aufbaudarlehens, das ich schon vor drei Jahren für die Einrichtung von zwei Film-Schneideräumen beantragt hatte. Dann könnte ich einen Raum vermieten und den zweiten für meine Archivarbeiten benutzen. Um dieses Darlehen zu erhalten, waren so viele bürokratische Hürden zu nehmen, unzählige Formulare auszufüllen und eine Bank zu finden, die zu einer Bürgschaftserklärung für das Darlehen bereit wäre, daß ich wenig Hoffnung hatte. Aber die Bewilligung kam. Es handelte sich um ein Darlehen von 35 000 DM, zu einem Zinssatz von nur 3 Prozent, zu tilgen innerhalb von zehn Jahren.
Im Nebenhaus meiner Wohnung in der Tengstraße mietete ich
zwei leere Kellerräume, die erst ausgebaut werden mußten. Sie hatten weder Fußboden noch Heizung. Auch gab es keine Fenster und keine Entlüftung. Aber der Umstand, daß die Räume nur einen Katzensprung von meiner Wohnung entfernt waren, überwog alle Nachteile. Als sie nach monatelanger Arbeit endlich fertig waren, schöpfte ich wieder Mut. Die Räume waren sehr hübsch geworden. In den Farben weiß und blau glichen sie meinen früheren Schneideräumen in Berlin. Nun konnte ich mich endlich nach so vielen Jahren wieder mit Zelluloidstreifen umgeben, auch wenn es nur darum ging, mein Archivmaterial zu ordnen.
Biennale 1959
Ü berraschend erhielt ich eine Einladung von der Festspielleitung der «Biennale» in Venedig, auf der eine «Retrospektive» meiner Filme vorgesehen war. So sehr ich über diese unerwartete Ehrung erfreut war, so brachte sie auch Probleme. Von den Olympiafilmen wurde die ungekürzte Version gewünscht. Das war schwierig, denn ich hatte wegen der von der Zensur verlangten «Entnazifizierung» die Negative zerschneiden müssen. Nun blieb mir nichts anderes übrig, als diese Szenen wieder einzusetzen. Hierbei half mir ein früherer Mitarbeiter, ein Schnittmeister, der in Not geraten war und mich angefleht hatte, ihn zu beschäftigen.
Um auf der «Biennale» in Form zu sein, buchte ich bei dem «Club Méditerranée» einen Kurzurlaub auf der Insel Elba. Das erste Mal besuchte ich ein solches Clubdorf und habe es nicht bereut. Unter schattigen Bäumen, direkt am Meer, waren kleine Strohhütten und Zelte aufgebaut. Da ich unter meinem Paßnamen Helene Jacob angemeldet war, blieb ich unerkannt und unbehelligt. Ich genoß die Sonne und das Meer.
Ende August traf ich am Lido ein. Die Festspiele hatten schon begonnen. Als ich mich dem Hotel «Des Bains» näherte, erinnerte ich mich der glanzvollen Tage der Vergangenheit, als meine Anwesenheit den Mittelpunkt der «Biennale» bildete. Nach den hohen Auszeichnungen, die ich hier erhalten hatte, fragte ich mich angstvoll, was würde mich nun erwarten?
Kaum hatte ich mein Zimmer betreten, wurde ich in die Halle gerufen. Einige aufgeregte Mitglieder des Festspiel-Komitees
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