Memoiren 1945 - 1987
zuständige Instanz, den hessischen Minister für Erziehung und Volksbildung, Dr. Arno Henning, und bat ihn um Überprüfung des Urteils. Als auch er mein Gesuch ablehnte, wußte ich nun endgültig, daß ich in Deutschland niemals mehr die Chance bekäme, einen Film zu machen.
Aber es gab noch immer Menschen, die mir Mut zusprachen. Einer von ihnen war Carl Müller, Mitglied und späterer Präsident der deutschen «Gilde-Kinos», der sich mit großem Idealismus für den künstlerischen Film einsetzte. Sein Kino «Studio für Filmkunst», in Bremen, brachte beide Teile des Olympiafilms auch ohne Prädikat im April 1958, im Beisein von Dr. Carl Diem, im festlichen Rahmen heraus. Der Erfolg belohnte seinen Mut.
Trotz aller düsteren Prognosen konnte der Film verlängert werden, und die «Bremer Nachrichten» schrieben: «Wir möchten ihn als eine Olympische Dichtung mit Unsterblichkeitswert bezeichnen.»
Ich gab mich nicht dem Irrtum hin, anzunehmen, daß soviel Anerkennungen mir den Weg ebnen könnten. Das Gegenteil traf ein. Kinobesitzer und Verleiher wurden durch anonyme Anrufe gewarnt, meine Filme zu spielen. Einige Zeitungen schrieben so infame Berichte, daß mein Anwalt Gegendarstellungen erzwingen mußte.
Diese nicht aufhörenden Diffamierungen waren so folgenschwer, daß kaum ein Kino es mehr wagte, die Olympiafilme zu spielen, und alle Verleiher, die sich um den Film beworben hatten, ihre Angebote zurückzogen. Nur Rudolf Engelberth, Besitzer mehrerer Kinos in München, hatte den Mut, die Olympiafilme in seinem «Roxy-Filmtheater» einzusetzen mit dem Erfolg, daß beide Teile wochenlang prolongiert wurden.
Dieser ständige Wechsel zwischen Erfolg und Angriffen machte mir die Entscheidung über mein künftiges Leben schwer. Solange ich noch soviel Anerkennung für meine Arbeit fand, sah ich immer wieder einen Hoffnungsschimmer für eine Zukunft in meinem Beruf. Es gab auch zwei Lichtblicke. Eine japanische Firma bot 15
000 Dollar für die Lizenzrechte der Olympiafilme. Herr Kawakita, ein Freund der Deutschen und Präsident der «Towa-Co» Ltd. in Tokio, schloß den Vertrag mit mir ab. Er hatte schon vor dem Krieg «Olympia» in Japan herausgebracht und damit alle Rekorde gebrochen. Ein zweiter Lichtblick kam aus Paris.
Einladung nach Paris
D er Marquis de Cuevas, dessen Ballett Weltruhm besaß, wollte «Das blaue Licht» in Paris als Ballett aufführen. Rosella Hightower, eine berühmte Prima-Ballerina, sollte nach der Musik von Vincent d’Indy die Junta tanzen, Erik Bruhn, der erste Tänzer des Balletts von Kopenhagen, ihr Partner sein. Die Uraufführung, zu der ich eingeladen wurde, war für den 20. oder 21. November im «Théatre des Champs Elysées» vorgesehen.
Ich war sprachlos. Zuerst glaubte ich, jemand hätte sich mit mir einen Scherz erlaubt. Dieses Mal schien ich mich aber zu irren. Sofort nach meiner telegrafischen Zusage schrieb mir Monsieur Camble, der Ballettmeister des Marquis, die Proben hätten schon begonnen, und nun wurde ich fast täglich über die Fortschritte informiert. Für die Proben waren nur vier Wochen angesetzt worden. Für die Dekorationen und Kostüme wurde ich um Rat gebeten und in die Mitgestaltung einbezogen. Ich geriet immer mehr in den Bann dieser Ballettidee. «Das blaue Licht» war mein Lieblingsfilm. Ich hatte russisches Ballett studiert und meine Laufbahn als Tänzerin begonnen, und schon lange war ein Tanzfilm mein Traum gewesen, durch die Bilder Edgar Degas’ optisch inspiriert.
Besessen arbeitete ich an den Skizzen und Texten. Meine solange stillgelegten kreativen Kräfte überfielen mich förmlich. Vor fast dreißig Jahren hatte ich mir diese Rolle selbst geschrieben. Sie war aus meiner jugendlichen Traumwelt entstanden.
Bei einem Gastspiel des Balletts in München lernte ich Rosella Hightower kennen. Sie war von ihrer Rolle als Junta hingerissen. Als ich den Vertrag aus Paris unterzeichnet in Händen hielt, war ich überglücklich. Eine Woche lang sollte ich bei den letzten Proben und bei der Premiere anwesend sein.
Kurz vor meinem Abflug nach Paris kam ein Telegramm: «Bitte kommen Sie nicht — ich schreibe. Camble.» Gäbe es nicht die Briefe, den Vertrag und das Telegramm, müßte man glauben, dies alles sei nur ein Spuk gewesen. Monsieur Camble und der Marquis waren unauffindbar, wie vom Erdboden verschwunden. Weder mein Anwalt noch ich selbst haben je eine Antwort auf unsere Briefe erhalten. Jahre später
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