Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
Vom Netzwerk:
während sie, um sich ja der Existenz heiratsfähiger junger Mädchen anzubequemen, zu verdummen begannen. Die Verschiedenheit unserer Zukunftserwartung trennte mich von vornherein von ihnen.
    Bald musste ich es mir eingestehen: Dieses Jahr brachte mir nicht, was ich davon erhoffte. Gleichsam heimatlos, von meiner Vergangenheit abgeschnitten, in gewisser Weise aus dem Gleichgewicht gebracht, hatte ich gleichwohl keinen neuen wirklichen Horizont entdeckt. Bis dahin hatte ich mich dem Leben im Käfig angepasst, denn ich wusste, dass eines Tages, der täglich näher rückte, die Tür sich öffnen würde; jetzt aber hatte ich sie durchschritten und fühlte mich noch immer eingesperrt. Welche Enttäuschung für mich! Keine deutlich umrissene Hoffnung hielt mich mehr aufrecht: Dieses Gefängnis hatte keine Gitterstäbe, ich sah nicht, wo und wie ich mir daraus einen Ausweg verschaffen konnte. Vielleicht gab es einen; aber wo? Und wann würde ich ihn finden? Jeden Abend trug ich den Mülleimer hinunter; während ich Gemüsereste, Asche und altes Papier in den Kasten leerte, befragte ich das Himmelsviereck über dem Hof; ich blieb vor dem Eingang des Hauses stehen. Schaufenster leuchteten, Autos flitzten auf der Fahrbahn vorbei; Passanten gingen vorüber; draußen war die Nacht von Leben erfüllt. Ich stieg die Treppe wieder hinauf, während ich widerstrebend meine Finger um den ein wenig fettigen Griff des Mülleimers schloss. Wenn meine Eltern außerhalb zu Abend aßen, stürzte ich mit meiner Schwester alsbald auf die Straße; wir streiften ziellos umher und versuchten ein Echo, einen Widerschein der großen Feste einzufangen, von denen wir ausgeschlossen waren.
    Ich ertrug meine Gefangenschaft umso schlechter, als es mir zu Hause gar nicht mehr gefiel. Mit zum Himmel erhobenen Augen betete meine Mutter für meine Seele; hienieden stöhnte sie unter meinen Verirrungen: Jede innere Verbindung zwischen uns war abgeschnitten. Wenigstens aber kannte ich die Gründe ihrer Verstörtheit. Die Zurückhaltung meines Vaters erstaunte und verletzte mich weit mehr. Er hätte sich für meine Bestrebungen, meine Fortschritte interessieren und mit mir freundschaftlich von den Autoren sprechen sollen, die ich studierte: Er bezeigte mir nur Gleichgültigkeit und sogar eine unbestimmte Feindseligkeit. Meine Cousine Jeanne war wenig für das Lernen begabt, trat aber stets lächelnd und sehr liebenswürdig auf; mein Vater sagte unaufhörlich jedem, der es hören wollte, sein Bruder habe eine bezaubernde Tochter, und seufzte dabei. Ich war von trotzigem Groll erfüllt. Ich ahnte nichts von dem Missverständnis, das uns trennte und das schwer auf meiner Jugend lasten sollte.
     
    In meinen Kreisen fand man es unangemessen, dass ein junges Mädchen ernsthafte Studien betrieb. Einen Beruf ergreifen bedeutete Abstieg. Es versteht sich von selbst, dass mein Vater leidenschaftlich gegen die Frauenbewegung war: Er war entzückt, wie ich schon sagte, von den Romanen Colette Yvers; seiner Meinung nach war der Platz der Frau in den Salons und am häuslichen Herd. Gewiss bewunderte er den Stil Colettes und das Spiel Simones; aber doch nur in der Weise, wie er die Schönheit der großen Kurtisanen schätzte: ‹par distance›; er würde sie niemals in sein Haus eingeladen haben. Nach dem Kriege lächelte ihm die Zukunft; er hoffte auf eine erfolgreiche Karriere, auf glückliche Spekulationen und darauf, meine Schwester und mich in die gute Gesellschaft einheiraten zu sehen. Um in ihr zu glänzen, musste eine Frau seiner Meinung nach nicht nur über Schönheit und Eleganz verfügen, sondern auch Konversation machen können und eine gewisse Belesenheit haben, daher freute er sich zunächst über meine Schulmädchenerfolge; in körperlicher Hinsicht ließen sich einige Erwartungen auf mich setzen; wenn ich dazu noch klug und gebildet wäre, würde ich mit Glanz einen Platz in der besten Gesellschaft ausfüllen können. Wenn aber mein Vater geistreiche Frauen liebte, so hatte er doch keinerlei Sinn für Blaustrümpfe. Wenn er erklärte: «Ihr, meine Kleinen, werdet euch nicht verheiraten, ihr müsst arbeiten», so lag Bitterkeit in seiner Stimme. Ich glaubte dann, er bedaure uns; aber nein, in dieser unserer arbeitsamen Zukunft las er nur die Bestätigung seines eigenen Versagens; er haderte mit dem ungerechten Geschick, das ihn dazu verdammte, Deklassierte zu Töchtern zu haben.
    Er fügte sich nur der Notwendigkeit. Der Krieg war vorüber und hatte ihn

Weitere Kostenlose Bücher