Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
ein klein wenig durch einen auvergnatischen Akzent gefärbt war. Seine Erklärungen über Ronsard blendeten mich förmlich. Ich verwendete die größte Sorgfalt auf meine erste schriftliche Arbeit, aber nur eine Dominikanerin, die in Zivil an den Vorlesungen teilnahm, erhielt eine spezielle Belobigung; wir beide, Zaza und ich, hoben uns aus der übrigen Klasse nur mit einer nachsichtig gewährten Elf heraus. Thérèse kam weit hinter uns.
Das geistige Niveau von Sainte-Marie war sehr viel gehobener als das des Cours Désir. Mademoiselle Lambert, die den Oberkurs leitete, flößte mir Respekt ein. Im Besitz des Staatsexamens für Philosophie, ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, trug sie eine schwarze Ponyfranse über einem Gesicht, in dem blaue Augen hell und durchdringend leuchteten. Aber ich sah sie nie. Ich fing mit Griechisch an und musste feststellen, dass ich in Latein nichts konnte: Meine Lehrer ignorierten mich. Was meine neuen Mitschülerinnen anbelangte, so kamen sie mir kaum lustiger vor als die früheren. Sie hatten gratis Logis und Unterricht; dafür mussten sie in den Mittelklassen den Unterricht und die Aufsicht übernehmen. Die meisten von ihnen, die schon recht erwachsen waren, dachten mit Bitterkeit daran, dass sie sich nie verheiraten würden; ihre einzige Möglichkeit, eines Tages ein erträgliches Leben zu führen, setzte voraus, dass sie erfolgreich ihre Examen bestanden: Diese Sorge verließ sie nie. Ich versuchte, mit einigen von ihnen ins Gespräch zu kommen, fand aber keinen Kontakt.
Im November fing ich an, mich auf die allgemeine Mathematik im Katholischen Institut vorzubereiten; die Weiblichkeit saß in den ersten Reihen, die jungen Männer in den letzten. Ich fand, sie hatten alle das gleiche bornierte Gesicht. In der Sorbonne langweilten mich die Literaturvorlesungen; die Professoren begnügten sich damit, mit matter Stimme zu wiederholen, was sie in ihren Doktorarbeiten schon früher niedergelegt hatten. Fortunat Strowski erzählte uns den Inhalt der Theaterstücke, die er im Laufe der Woche gesehen hatte: Seine müde Verve amüsierte mich nur kurze Zeit. Um mich zu trösten, beobachtete ich die Studenten und Studentinnen, die rings um mich her auf den Bänken der Hörsäle saßen: Manche beschäftigten meine Gedanken oder zogen mich auch an; beim Verlassen des Hörsaals folgte ich manchmal noch lange mit den Augen einer Unbekannten, deren Eleganz und Anmut mich in Erstaunen setzten: Wem trug sie wohl das aufgemalte Lächeln ihrer Lippen entgegen? Wenn ich in dieser Weise ganz dicht von lauter fremden Leben umgeben war, fand ich das unbestimmte Glück in meinem Innern wieder, das ich als Kind auf dem Balkon des Boulevard Raspail erfahren hatte. Nur wagte ich mit niemandem zu sprechen, und niemand sprach mit mir.
Großpapa starb Ende des Herbstes nach einer endlosen Agonie. Meine Mutter hüllte sich in Crêpe und ließ meine Kleider schwarz färben. Diese Friedhofslivree machte mich hässlich, isolierte mich und gab mir das Gefühl, endgültig zu einer strengen Lebensweise verpflichtet zu sein, die auf mich zu drücken begann. Am Boulevard Saint-Michel promenierten die Burschen und Mädchen in Scharen und lachten zusammen: Sie gingen ins Café, ins Theater, ins Kino. Wenn ich den ganzen Tag über wissenschaftlichen Arbeiten gesessen und Catull übersetzt hatte, löste ich am Abend mathematische Aufgaben. Meine Eltern brachen mit allen Gewohnheiten, indem sie mich nicht auf eine Heirat, sondern auf eine berufliche Laufbahn hin mein Leben einrichten ließen; nichtsdestoweniger fuhren sie unmerklich fort, mich auch weiterhin ihren Zwecken unterzuordnen; es war keine Rede davon, dass ich etwa ohne sie hätte ausgehen können noch dass mir die lästigen Familienverpflichtungen erspart geblieben wären.
Im vorhergehenden Jahr hatte meine hauptsächliche Zerstreuung in Begegnungen mit meinen Freundinnen, in unseren oberflächlichen Gesprächen bestanden; jetzt kamen sie mir alle außer Zaza todlangweilig vor. Drei- oder viermal nahm ich am ‹Studienzirkel› teil, zu dem sie sich unter dem Vorsitz von Abbé Trécourt zusammenfanden, aber das kümmerliche Niveau der Diskussionen schlug mich in die Flucht. Meine Kameradinnen hatten sich nicht einmal so sehr verändert, ebenso wenig ich selbst. Aber was uns gestern noch verbunden hatte, war unser gemeinsames Ziel, das Lernen, gewesen; heute gingen unsere Daseinszwecke weit auseinander; ich schritt weiter voran, ich entwickelte mich,
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