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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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schmeichelnden Klang gehabt. Ich zitterte, als ich acht Tage darauf an seiner Pforte stand, so sehr fürchtete ich mich vor einem verletzenden Rückschlag. Unsere Begegnung entzückte mich. Er hatte einen Roman begonnen, der
Les Jeunes Bourgeois
hieß, und sagte zu mir: «Zum großen Teil schreibe ich ihn für dich.» Er erklärte mir auch gleich, dass er ihn mir widmen wolle: «Ich betrachte das als eine Schuldigkeit.» Ein paar Tage lang lebte ich in einem Zustand von Hochgestimmtheit dahin. In der darauffolgenden Woche sprach ich zu ihm von mir selbst; ich erzählte ihm von dem Gefühl der Leere, das ich oft hätte, und dass ich dem Leben keinen Sinn abgewinnen könne. «Da brauchst du nicht lange zu suchen», gab er mir ernst zur Antwort. «Man muss einfach sein Tagewerk verrichten.» Etwas später setzte er noch hinzu: «Man muss die Demut besitzen, einzusehen, dass man sich allein nicht heraushelfen kann; es ist leichter, für einen anderen zu leben.» Er lächelte mir zu: «Die Lösung beruht darin, dass man zu zweit egoistisch ist.»
    Ich wiederholte mir diesen Satz, dieses Lächeln; ich zweifelte nicht mehr: Jacques liebte mich; wir würden einander heiraten. Aber irgendetwas stimmte ganz entschieden nicht: Mein Glück hielt nur drei Tage lang an. Jacques kam wieder zu uns; ich verbrachte mit ihm einen sehr heiteren Abend, doch nachdem er gegangen war, blieb ich niedergeschlagen zurück: ‹Ich habe alles, um glücklich zu sein, und möchte dennoch sterben! Das Leben liegt vor mir, es blickt mich an, es will sich unser beider bemächtigen. Ich habe Angst: Ich bin allein, ich werde immer allein sein … Wenn ich fliehen könnte – aber wohin? Ganz gleich, wohin. Es müsste eine große Katastrophe kommen, die uns weit weg von hier entführt.› Für Jacques bedeutete die Heirat offenbar ein Ende, ich aber wollte nicht – nicht so schnell – zu diesem Ende kommen. Einen Monat noch rang ich mit mir. Für Augenblicke überzeugte ich mich, ich könne an Jacques’ Seite leben, ohne mich als beeinträchtigt zu empfinden; dann aber war das ganze Grauen wieder da: ‹Mich einschließen in die Grenzen eines anderen? Grauen vor dieser Liebe, die eine Kette für mich bedeutet, die mir keine Freiheit lässt.› ‹Verlangen, diese Fessel zu zerbrechen, zu vergessen, ein anderes Leben zu beginnen …› ‹Noch nicht, ich will noch nicht diese Selbstaufgabe.› Dennoch brandete meine Liebe zu Jacques manchmal heftig auf, und nur sekundenlang gestand ich mir ein: ‹Er ist nicht für mich gemacht.› Lieber behauptete ich, ich selbst sei für die Liebe und das Glück nicht geschaffen. In meinem Tagebuch äußerte ich mich darüber in bizarrer Weise als über eine ein für alle Mal feststehende Gegebenheit, die ich ablehnen oder hinnehmen, deren Inhalt ich aber keinesfalls modifizieren könne. Anstatt mir zu sagen: ‹Ich glaube immer weniger, dass ich mit Jacques je glücklich werden kann›, schrieb ich nieder: ‹Ich fürchte mich immer mehr vor dem Glück› oder: ‹Tiefe Scheu davor, zum Glück ja oder nein zu sagen.› ‹Wenn ich ihn am meisten liebe, verabscheue ich umso mehr meine Liebe zu ihm.› Ich fürchtete, meine Zuneigung könne mich dazu bringen, seine Frau zu werden, das Leben aber, das die zukünftige Madame Laiguillon erwartete, lehnte ich leidenschaftlich ab.
    Jacques seinerseits hatte seine Launen. Er lächelte mich manchmal unaufrichtig an; er sagte: «Es gibt Wesen, die unersetzlich sind», und umhüllte mich mit einem tiefen, gerührten Blick; er bat mich, bald wiederzukommen, empfing mich dann aber mit Kälte. Anfang März wurde er krank. Ich machte ihm mehrere Besuche: Immer waren irgendwelche Onkel, Tanten, Großmütter an seinem Krankenbett. «Komm morgen, da können wir ruhig reden», sagte er einmal zu mir. Ich war noch aufgeregter als sonst, als ich mich an jenem Nachmittag zum Boulevard Montparnasse begab. Ich kaufte einen Veilchenstrauß und befestigte ihn am Ausschnitt meines Kleides; ich hatte Schwierigkeiten beim Anstecken, und in meiner Ungeduld verlor ich meine Handtasche. Es war nicht viel darin, doch immerhin kam ich sehr nervös in Jacques’ Wohnung an. Lange hatte ich vorher an unser inniges Beieinander im Halbdunkel seines Schlafzimmers gedacht. Aber ich fand ihn nicht allein. Lucien Riaucourt saß an seinem Bett. Ich war ihm schon vorher begegnet, er war ein eleganter junger Mann von ungezwungenem Auftreten, der viel sprach. Sie setzten ihre Unterhaltung zu zweien fort,

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