Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Zukunft gefasst und war in Himmelshöhen einem heroischen Geschick entgegengeschwebt. Welch ein Sturz war dann aber erfolgt! Jetzt war wiederum die Zukunft herangerückt, sie war heute, und alle Versprechungen müssten unverzüglich eingelöst werden. Man müsste dienen. Doch wem? Wozu? Ich hatte viel gelesen, viel nachgedacht, viel gelernt, ich war bereit, ich war reich, sagte ich mir, aber niemand schickte sich an, etwas von mir zu verlangen. Das Leben war mir so überströmend von Fülle erschienen, dass ich, um seinem unendlichen Appell zu entsprechen, fanatisch bemüht gewesen war, alles an mir nutzbringend dafür dienstbar zu machen: Nun aber war es leer; keine Stimme rief nach mir. Ich verspürte in mir die Kraft, die Welt aus den Angeln zu heben, und fand doch nicht den kleinsten Kieselstein, den ich hätte umwenden können. Meine Enttäuschung brach brutal über mich herein: ‹Ich
bin
so viel mehr, als ich
tun
kann!› Es genügte nicht, auf Ruhm, auf Glück verzichtet zu haben; ich verlangte sogar nicht einmal mehr, dass mein Dasein fruchtbarer wäre, ich verlangte nichts mehr; schmerzvoll erfuhr ich an mir die ‹die Unfruchtbarkeit des Seins›. Ich arbeitete, um später einmal einen Beruf zu haben; ein Beruf aber war ein Mittel: zu welchem Zweck? Eine Heirat, wozu? Kinder erziehen oder Hefte korrigieren, alles war der gleiche, völlig sinnlose Trott. Jacques hatte recht: wozu? Die Leute fanden sich damit ab, nutzlos zu existieren, ich nicht. Mademoiselle Lambert so gut wie meine Mutter ließen tote Tage verrinnen, sie begnügten sich damit, nur irgendwie beschäftigt zu sein. ‹Ich wünsche mir einen an mich gerichteten Anspruch, der mir keine Zeit mehr lässt, mich mit irgendetwas zu beschäftigen!› Aber ich traf auf diesen Anspruch nicht, und in meiner Ungeduld verallgemeinerte ich meinen speziellen Fall: ‹Nichts stellt einen Anspruch an mich oder an irgendjemanden sonst, weil eben nichts da zu sein braucht.›
So fand ich in mir selbst jenes neue ‹mal du siècle›, auf das Marcel Arland in einem vielbeachteten Artikel der
Nouvelle Revue française
hingewiesen hatte. Unsere Generation, erklärte er, konnte sich über das Fehlen Gottes nicht trösten; kummervoll stellte sie fest, dass es außerhalb von ihm nur Beschäftigungen gab. Ich hatte diesen Aufsatz ein paar Monate zuvor mit Interesse, aber ohne ein Gefühl der Beunruhigung gelesen: Damals kam ich sehr gut aus ohne Gott, und wenn ich seinen Namen brauchte, so nur, um eine leere Stelle zu bezeichnen, die in meinen Augen den Glanz der Fülle besaß. Auch jetzt noch wünschte ich keineswegs, dass er existierte, und es schien mir sogar, dass ich, hätte er existiert, ihn verabscheut hätte. Wenn meine Existenz sich tastend in Bahnen bewegte, deren Umwege er sämtlich aufs genaueste kannte, dem Zufall seiner Gnade und unsicher schwankend anheimgegeben, erstarrt durch sein unfehlbares Gericht über sie, wäre sie nur eine törichte, eitle Prüfung gewesen. Kein Sophismus hätte mich davon überzeugen können, dass der Allmächtige mein Elend nötig hatte: Oder aber alles wäre nur ein Spiel gewesen. Als die amüsierte Herablassung der Erwachsenen früher mein Leben in eine kindische Komödie verwandelte, bekam ich Krämpfe vor Wut: Heute hätte ich nicht minder wütend abgelehnt, den Affen Gottes zu spielen. Wenn ich im Himmel die gleiche, ins Unendliche vergrößerte monströse Verbindung von Hinfälligkeit und Strenge, von Laune und falscher Notwendigkeit vorgefunden hätte, die mich seit meiner Geburt bedrückte, so hätte ich lieber, als ihn anzubeten, die Verdammnis auf mich genommen. Mit von boshafter Güte strahlendem Blick hätte Gott mir die Erde, das Leben, die anderen, mich selbst geraubt. Ich hielt es für ein großes Glück, ihm entronnen zu sein.
Warum aber wiederholte ich mir dann mit so viel Trostlosigkeit im Herzen, dass ‹alles eitel› sei? Das Übel, an dem ich litt, bestand in Wahrheit darin, dass ich aus dem Paradies der Kindheit vertrieben war und meinen Platz unter den Menschen nicht wiedergefunden hatte. Ich hatte meinen Ort im Absoluten gesucht, um von oben herab die Welt zu betrachten, die mich von sich wies; wenn ich aber handeln, ein Werk schaffen, mich ausdrücken wollte, müsste ich wiederum auf sie herniedersteigen: Meine Verachtung aber hatte sie zunichtegemacht, ich sah nichts als Leere rings um mich her. Tatsache war, dass ich noch auf nichts die Hand hatte legen können. Liebe, Handeln, literarisches
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