Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
auf einem der großen Boulevards vor der Tür eines franko-belgischen Hilfskomitees, das von einer von Mamas Freundinnen geleitet wurde. «Für die kleinen belgischen Flüchtlinge!» Die Geldstücke regneten nur so in mein blumengeschmücktes Körbchen, und das Lächeln der Vorübergehenden gab mir zu verstehen, was für eine bezaubernde kleine Patriotin ich sei. Doch eine Frau in Schwarz sah mich finster an: «Warum für die belgischen Flüchtlinge? Und die französischen?» Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Die Belgier waren unsere heroischen Verbündeten; aber schließlich, wenn man schon stolz auf seine Vaterlandsliebe war, sollte man ihnen freilich die Franzosen vorziehen; auf meinem eigensten Terrain fühlte ich mich geschlagen. Andere Schwierigkeiten kamen noch hinzu. Wenn ich des Abends den Raum des ‹Foyer› betrat, wurde ich mit Herablassung zu meinem Erfolg beglückwünscht. «Da kann ich ja meine Kohlen bezahlen!», sagte die Leiterin. Ich erhob Einspruch dagegen: «Das Geld soll doch für die Flüchtlinge sein.» Ich hatte Mühe zu begreifen, dass die Interessen hier nicht klar zu scheiden waren; ich hatte von einer eindrucksvolleren Hilfsaktion geträumt. Im Übrigen hatte Mademoiselle Fevrier einer Krankenschwester die Gesamtheit der Einnahme zugesagt und gestand ihr nicht, dass sie die Hälfte einbehielt. «Zwölf Franc, das ist fabelhaft!», sagte die Krankenschwester zu mir. Ich hatte vierundzwanzig eingenommen. Ich war außer mir. Man schätzte mich nicht meinem Werte entsprechend ein; ich hatte mich selbst für einen Star gehalten, während ich in Wirklichkeit nur eine Nebenrolle spielte, man hatte mich betrogen.
Nichtsdestoweniger behielt ich von diesem Nachmittag eine eher glorreiche Erinnerung zurück und fuhr auch mit meiner Tätigkeit fort. Ich ging mit anderen kleinen Mädchen singend und die Oriflamme schwenkend in der Basilika von Sacré-Cœur umher. Ich betete Litaneien und Rosenkränze für unsere lieben ‹Poilus›. Ich führte alle Schlagworte der Zeit im Mund und befolgte alle Parolen. In den Metros und Trambahnen stand: ‹Taisez-vous, méfiez-vous, les oreilles ennemies vous écoutent.› (‹Schweigt, seid vorsichtig, die Ohren des Feindes hören mit.›) Es war von Spionen die Rede, die die Frauen mit Nadeln in die Sitzflächen stachen, und von anderen, die den Kindern vergiftete Bonbons austeilten. Ich spielte also die Vorsichtige. Als mir nach dem Unterricht die Mutter einer Kameradin Gummidrops anbot, lehnte ich sie ab; sie roch nach Parfum, ihre Lippen waren angemalt, sie trug schwere Ringe an den Fingern, und zu allem Überfluss hieß sie auch noch Madame Malin. Ich glaubte zwar nicht wirklich, dass ich an den Bonbons sterben würde, aber es kam mir verdienstlich vor, immer wachsam zu sein.
Ein Teil meiner Schule, des ‹Cours Désir›, war in ein Lazarett umgewandelt worden. In den Korridoren vermischte sich ein erbaulicher Duft nach Medikamenten mit dem Geruch von Bohnerwachs. Unter ihren weißen, rot getupften Schleiern glichen die Damen Heiligen, und ich war tief bewegt, wenn ihre Lippen meine Stirn berührten. Ein kleines Flüchtlingsmädchen aus dem Norden trat in meine Klasse ein; der jähe Aufbruch hatte sie ernstlich verstört, sie litt an nervösen Ticks und stotterte. Man erzählte mir nun viel von Flüchtlingskindern, und ich wollte einen Beitrag zur Linderung ihres Elends liefern. So kam ich auf den Gedanken, alle Näschereien, die ich geschenkt erhielt, in einer Schachtel zu sammeln. Als diese mit altbackenen Plätzchen, weißlich überhauchter Schokolade und vertrockneten Backpflaumen angefüllt war, half Mama mir beim Einpacken, und ich trug sie den Damen hin. Sie vermieden es zwar, mir allzu ostentativ zu danken, aber über meinen Kopf hinweg erhob sich doch ein Geflüster, das mir schmeichelte.
Die Tugend ergriff Besitz von mir; es gab keine Zornanfälle, keine Launen mehr: Man hatte mir erklärt, es hänge von meiner Bravheit und Frömmigkeit ab, dass Gott Frankreich errette. Nachdem der Seelsorger des Cours Désir mich bei der Hand genommen hatte, wurde ich ein Muster von einem kleinen Mädchen. Er war jung, blass und unendlich sanft. Er nahm mich in seinen Katechismusunterricht auf und weihte mich in die süße Beglückung der Beichte ein. Ich kniete ihm gegenüber in einer kleinen Kapelle und gab eifrig Antwort auf seine Fragen. Ich habe keine Ahnung mehr, was ich ihm erzählte, aber in Gegenwart meiner Schwester, die es mir wiedersagte,
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