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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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mich verspüren könnte; ich erschrak beinahe vor dem feindlichen Antlitz, das ich in Genevièves Augen an mir trug. Ich konnte dem Gedanken aber nicht lange nachhängen, denn jemand klopfte an die Tür: Es war Madame Mabille. «Ich möchte mit Ihnen sprechen, meine liebe Simone», sagte sie zu mir; die Sanftheit ihrer Stimme überraschte mich, denn seit langem schon hatte sie kein Lächeln mehr für mich übrig gehabt. Mit verlegener Miene befingerte sie die Kamee, mit der das Samtband an ihrem Hals geschlossen war, und fragte mich, ob Zaza mir ‹alles berichtet› habe. Ich bejahte. Sie schien nicht zu wissen, dass die Gefühle ihrer Tochter sowieso schwächer zu werden begannen, und verlegte sich darauf, mir zu erklären, weshalb sie sie bekämpfte. Andrés Eltern widersetzten sich dieser Heirat, im Übrigen gehörten sie zu einem sehr reichen, sittenlosen, derben Milieu, das gar nicht zu Zaza passte; es war absolut nötig, dass sie ihren Vetter vergaß, und Madame Mabille rechnete dabei auf meine Hilfe. Die Komplizität, die sie mir damit aufzwang, war mir höchst unangenehm; indessen rührte es mich, dass sie sich an mich wendete, denn es hatte sie sicher große Selbstüberwindung gekostet, mich um meinen Beistand zu bitten. Ich versprach ihr in etwas vager Weise, ich würde mein Bestes tun.
    Wie mir Zaza vorausgesagt hatte, folgten Picknicks, Tees, Tanzereien pausenlos aufeinander; das Haus war allen geöffnet: Schwärme von Vettern und Freunden erschienen zum Mittagessen, zum Tee, zum Tennis und zum Bridge. Wir wurden zum Tanz bei Grundbesitzern der Umgegend mitgenommen. Oft fanden im Nachbarort irgendwelche Feste statt; ich sah mir das baskische Pelotaspiel an und schaute zu, wie junge Bauern, grünlich vor Angst, ihre Kokarden in das Fell von ausgemergelten Kühen steckten: Manchmal schlitzte ein scharfes Horn ihre schönen weißen Hosen auf, und alles lachte. Nach dem Abendessen setzte jemand sich ans Klavier, und die Familie sang im Chor; es wurden auch Spiele gespielt: Scharaden und ‹Bouts-rimés›. Der Vormittag war mit Hausarbeit ausgefüllt. Es wurden Blumen gepflückt, Sträuße gewunden, und vor allem wurde gekocht. Lili, Zaza, Bébelle stellten englische Kuchen, Maultaschen, Sandtorten und Gugelhupfe für den Nachmittagstee her; sie halfen ihrer Mutter und Großmutter, Tonnen von Früchten und Gemüsen in Gläser zu füllen; es gab immer Erbsen auszuhülsen, grüne Bohnen abzuziehen, Nüsse zu schälen und Pflaumen zu entkernen. Die Ernährung war eine von langer Hand vorbereitete, anstrengende Angelegenheit.
    Zaza sah ich kaum und langweilte mich daraufhin. Obwohl ich über wenig psychologischen Sinn verfügte, war mir doch klar, dass Mabilles und ihre Freunde mir misstrauten. Schlecht angezogen, wenig gepflegt, verstand ich weder alte Damen mit ehrerbietigen Reverenzen zu begrüßen noch meine Bewegungen und mein Lachen immer maßvoll zu zügeln. Ich hatte keinen Pfennig Geld und bereitete mich auf Berufsarbeit vor. Schon das war eher schockierend; um allem die Krone aufzusetzen, hatte ich auch noch vor, später an einem staatlichen Lyzeum zu unterrichten; durch Generationen hindurch hatten alle diese Leute die laizistische Schulerziehung bekämpft: In ihren Augen bereitete ich mich auf eine Zukunft vor, die mich tief degradierte. Ich schwieg so viel wie möglich, ich gab acht auf mich; aber was ich auch tat, jedes meiner Worte und sogar mein Schweigen schien fehl am Platz. Madame Mabille zwang sich zur Liebenswürdigkeit. Monsieur Mabille und die alte Madame Larivière übersahen mich, soweit sie es ohne Unhöflichkeit konnten. Der älteste der Söhne war gerade ins Priesterseminar eingetreten; Bébelle fühlte sich möglicherweise zur Ordensschwester berufen, sie gaben sich wenig mit mir ab. Die jüngeren Kinder wunderten sich über mich, das heißt, sie schüttelten missbilligend den Kopf. Lili verbarg ihren Tadel nicht. Vollkommen dem Milieu des Hauses angepasst, wusste dieser Ausbund aller Tugenden auf alles eine Antwort: Es genügte, dass ich ihr eine Frage stellte: Schon war sie gereizt. Mit fünfzehn oder sechzehn Jahren hatte ich mich während eines Mittagessens bei den Mabilles gewundert, wieso, wenn die Menschen doch alle gleich erschaffen sind, Tomate oder Hering für jeden einen anderen Geschmack haben; Lili hatte mich ausgelacht. Jetzt gab ich mich nicht mehr derart naiv der allgemeinen Heiterkeit preis, aber meine Reserve genügte bereits, um auf sie verstimmend zu wirken. Eines

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