Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Frankreich zu dienen. Es liegen also noch viele Schwierigkeiten und eine lange Trennung vor uns: Wenn unsere Pläne dann zum Ziel kommen sollten, werden wir schließlich auch noch etwa zehn Jahre in Südamerika leben müssen. Sie sehen, dass alles eigentlich ziemlich düster aussieht. Ich werde noch heute Abend mit Mama sprechen müssen; vor zwei Jahren hat sie denkbar entschieden nein gesagt, und ich bin schon im Voraus ganz vernichtet von der Unterredung, die ich mit ihr haben werde. Ich liebe sie eben so sehr, wissen Sie, dass es mir ärger als alles ist, ihr Kummer zu bereiten und ihren Willen zu missachten. Als ich klein war, habe ich immer gebetet, dass nur ja niemand meinetwegen leiden soll! Ach! Das ist leider ein Wunsch, der sich nicht erfüllen lässt!›
Ich las diesen Brief wohl zehnmal mit stockendem Atem durch. Ich begriff jetzt die Veränderung, die sich in Zaza vollzogen hatte, als sie fünfzehn Jahre alt war, ihre abwesende Miene, ihre romantischen Neigungen und auch ihre seltsam frühe Ahnung von Liebe: Sie hatte schon mit Leib und Seele zu lieben gelernt, deswegen lachte sie, wenn jemand die Liebe zwischen Tristan und Isolde als platonisch hinstellen wollte, und deshalb flößte ihr die Vorstellung einer Vernunftheirat solches Grauen ein. Wie wenig hatte ich sie gekannt! «Ich möchte einschlafen und niemals wieder aufwachen», hatte sie gesagt, und ich war darüber einfach hinweggegangen; gleichwohl wusste ich, wie schwarz es in einem Herzen aussehen kann. Es war mir unerträglich, mir Zaza vorzustellen, wie sie mit ihrem dezenten Hütchen und mit Handschuhen an den Händen am Rande eines Metrogleises stand und fasziniert auf die Schienen starrte.
Ein paar Tage darauf erhielt ich einen zweiten Brief. Das Gespräch mit Madame Mabille war sehr schlecht verlaufen. Sie hatte von neuem Zaza verboten, ihren Vetter zu sehen. Zaza war eine zu gute Christin, als dass sie ernstlich an Ungehorsam hätte denken können; niemals aber war ihr dieses Verbot so schrecklich erschienen wie in diesem Augenblick, da kaum fünfhundert Meter sie von dem jungen Mann trennten, den sie liebte. Was sie mehr als alles andere quälte, war die Vorstellung, dass er ihretwegen litt, während sie Tag und Nacht einzig an ihn dachte. Ich war tief bestürzt über dieses Unglück, das alles übertraf, was ich jemals an mir selbst erfahren hatte. Es war ausgemacht, dass ich in diesem Jahr drei Wochen mit Zaza im Baskenland verleben sollte, und ich hatte große Eile, in ihre Nähe zu kommen.
Als ich in Meyrignac ankam, fühlte ich mich ‹so friedevoll, wie ich es anderthalb Jahre lang nicht gewesen war›. Gleichwohl fiel der Vergleich mit Pradelle für Jacques nicht günstig aus, ich erinnerte mich ohne Nachsicht an ihn. ‹Wenn ich so denke, dieser Mangel an Ernst, immer diese Geschichten mit Bars, mit Bridge und mit Geld! … Es gibt in ihm erlesenere Dinge als in irgendeinem anderen, aber auch etwas, was mir traurig verfehlt erscheint.› Ich hatte mich von ihm etwas losgelöst und gerade genügend an Pradelle attachiert, damit sein Vorhandensein meine Tage in höherem Maße erhellte, als Jacques’ Abwesenheit sie verdunkelte. Wir schrieben einander viel. Ich schrieb auch an Riesmann, an Blanchette Weiß, an Mademoiselle Lambert, an Suzanne Boigue, an Zaza. Ich hatte mir im Speicher unter einer Dachluke einen Tisch aufgestellt, und abends, beim Schein eines Windlichts, ergoss ich mein Herz auf unzähligen Seiten. Dank den Briefen, die ich erhielt – besonders dank denen von Pradelle –, fühlte ich mich nicht mehr allein. Ich hatte auch lange Gespräche mit meiner Schwester; sie hatte ihr Abiturium gemacht, und dieses ganze letzte Jahr hatten wir uns einander sehr nahe gefühlt. Abgesehen von meiner Stellung zur Religion verheimlichte ich ihr nichts. Jacques besaß in ihren Augen ein ebenso großes Prestige wie in den meinigen, sie hatte sich meine Mythologien durchaus zu eigen gemacht. Da sie ebenso wie ich den Cours Désir und die meisten ihrer Kameradinnen verabscheute, nahm sie fröhlich am Krieg gegen die ‹Barbaren› teil. Vielleicht weil sie eine weit weniger glückliche Kindheit gehabt hatte als ich, lehnte sie sich viel kühner als ich gegen die Formen der Versklavung auf, die auf uns lasteten. «Es ist dumm», sagte sie eines Abends mit verlegener Miene zu mir, «aber es ist mir unangenehm, dass Mama meine Briefe öffnet; es macht mir hinterher keinen Spaß mehr, sie selbst zu lesen.» Ich sagte ihr, dass
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