Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Zaza war nicht lau und nicht resigniert: Sie trug in sich eine dumpfe Heftigkeit, die mir sogar Angst für sie machte. Man durfte keines ihrer Worte leichtnehmen, denn sie ging damit sehr viel sparsamer um als ich. Wenn ich sie nicht dazu angereizt hätte, würde sie mir diesen Zwischenfall niemals mitgeteilt haben.
Ich wollte ihr nichts mehr verschweigen: Ich gestand ihr also ein, dass ich den Glauben verloren hätte; sie habe es geahnt, antwortete sie mir; auch sie habe im Laufe des Jahres eine religiöse Krise durchgemacht. ‹Als ich den Glauben mit den Praktiken meiner Kindheit und das katholische Dogma mit allen meinen neuen Ideen verglich, ergab sich ein solches Missverhältnis, eine derartige Unvereinbarkeit zwischen den beiden Ideenordnungen, dass eine Art von Schwindel mich befiel. Claudel ist eine sehr große Hilfe für mich gewesen, ich kann gar nicht sagen, wie viel ich ihm verdanke. Ich glaube jetzt wieder wie zu der Zeit, als ich sechs Jahre alt war, sehr viel mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand und unter absolutem Verzicht auf meine Vernunft. Theologische Diskussionen erscheinen mir immer absurd und grotesk. Ich glaube vor allem, dass Gott für uns völlig unbegreiflich ist und uns gänzlich verborgen bleibt und dass der Glaube an ihn eine übernatürliche Gabe, eine Gnade ist, mit der er uns beschenkt. Deshalb kann ich nur von ganzem Herzen diejenigen beklagen, die dieser Gnade nicht teilhaftig geworden sind, und ich glaube, dass sich, wenn sie aufrichtig nach Wahrheit dürsten, diese Wahrheit eines Tages auch ihnen enthüllen wird … Im Übrigen›, setzte sie hinzu, ‹bedeutet der Glaube nicht eine Beschwichtigung; es ist ebenso schwierig, zum Frieden des Herzens zu gelangen, wenn man glaubt, als wenn man nicht glaubt: Man hat nur die Hoffnung, in einem anderen Leben dennoch Frieden zu finden.› In dieser Weise nahm sie mich nicht nur hin, wie ich war, sondern war auch sehr darauf bedacht, sich nicht den kleinsten Schatten von Überlegenheit anzumaßen; wenn für sie ein Lichtblick am Himmel aufflimmerte, so hinderte das nicht, dass sie auf Erden in der gleichen Finsternis umhertappte wie ich und dass wir auch weiter gemeinsam dahinwanderten.
Am 10 . September fuhr ich vergnügt nach Laubardon. Ich stieg in Uzerche im Morgengrauen in den Zug und verließ ihn in Bordeaux, ‹denn›, hatte ich Zaza geschrieben, ‹ich möchte nicht die Heimat Mauriacs durchreisen, ohne haltzumachen›. Zum ersten Mal in meinem Leben ging ich allein in einer unbekannten Stadt spazieren. Da war ein großer Strom, da waren neblige Quais, und die Platanen rochen schon nach Herbst. In den engen Gassen kämpften Schatten und Licht miteinander; dann aber erstreckten sich breite Prachtstraßen auf die Esplanaden zu. Träumend und verzaubert schwebte ich leicht wie eine Seifenblase dahin. In den Anlagen hing ich zwischen Gruppen von scharlachroten Cannas den Träumen rastloser Jugend nach. Man hatte mir Ratschläge mitgegeben: Ich trank eine Schokolade an den Alleen von Tourny; zu Mittag aß ich nahe beim Bahnhof in einem Restaurant, das ‹Le petit Marguery› hieß: Niemals war ich ohne meine Eltern in einem Restaurant gewesen. Dann trug mich der Zug an einer schwindelnd geraden Straße entlang, die endlos von Pinien gesäumt war. Ich liebte die Eisenbahn. Aus dem Abteilfenster geneigt, bot ich mein Gesicht dem Winde und dem Kohlenstaub dar und schwor mir, niemals den blind in der Hitze der Waggons zusammengepferchten Reisenden zu gleichen.
Gegen Abend kam ich an. Der Park von Laubardon war sehr viel weniger schön als der von Meyrignac, aber ich fand das von wildem Wein umrankte Haus mit dem Ziegeldach doch sehr hübsch. Zaza führte mich in ein Zimmer, das ich mit Geneviève de Bréville, einem frischen, braven jungen Mädchen, von dem Madame Mabille riesig eingenommen war, teilen sollte. Ich blieb dort einen Augenblick allein, um meinen Koffer auszupacken und mich herzurichten. Geschirrgeklapper und Kinderlärm drangen aus dem Parterre zu mir herauf. Im Gefühl einer gewissen Fremdheit ging ich rundum im Zimmer umher. Auf einem Tisch entdeckte ich ein mit schwarzem Moleskin bezogenes Heft, das ich aufs Geratewohl aufschlug, und las: ‹Morgen kommt Simone de Beauvoir. Ich gebe zu, dass ich mich nicht besonders darauf freue, denn offen gestanden mag ich sie nicht.› Ich war sprachlos: Dies war eine neue, unangenehme Erfahrung; niemals hatte ich vermutet, dass jemand eine ausgesprochene Antipathie gegen
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