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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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hatte den Wunsch, sein Dasein möchte eine Zeitlang noch ein großes Glücksspiel bleiben. Abwechselnd, wie die Tage einander folgten, gab ich ihm recht und unrecht. Ich entschied mich dafür, dass ich ihn liebte, dann aber fand ich wiederum, ich liebte ihn entschieden nicht. Ich war voller Trotz und verlebte zwei Monate, ohne ihn zu sehen.
    Mit Jean Pradelle ging ich rund um den See im Bois de Boulogne spazieren; wir bewunderten den Herbst, die Schwäne und sahen den bootfahrenden Leuten zu; wir griffen den Faden unserer Diskussionen, jedoch mit minderem Eifer, wieder auf. Ich hing sehr an Pradelle, aber wie wenig ernsthaft von den Dingen bewegt er doch war! Seine Ruhe verletzte mich. Riesmann gab mir seinen Roman zu lesen, den ich kindisch fand, und ich las ihm ein paar Seiten des meinen vor, der ihn beträchtlich zu langweilen schien. Jean Mallet sprach immer zu mir von Alain, Suzanne Boigue von ihrem Herzen, Mademoiselle Lambert von Gott. Meine Schwester war in eine Kunstgewerbeschule eingetreten, in der es ihr gar nicht gefiel, sie weinte mir etwas vor. Zaza übte sich in Gehorsam und verbrachte ganze Stunden damit, in den Warenhäusern Stoffmuster auszuwählen. Von neuem senkten sich Langeweile und Einsamkeit auf mich herab. Als ich mir einst im Luxembourggarten gesagt hatte, Verlassenheit werde eben nun einmal mein Los sein, lag so viel Heiterkeit in der Luft, dass ich nicht sehr bewegt davon gewesen war, aber jetzt im Herbstnebel erschreckte mich die Zukunft. Ich würde niemanden lieben, niemand war groß genug, damit man ihn lieben könnte; ich würde die Wärme eines Heims nie finden, sondern meine Tage in einem Zimmer in der Provinz verbringen, das ich nur verlassen würde, um meinen Unterricht zu erteilen: Welche Öde erwartete mich! Ich hoffte nicht einmal mehr, bei irgendeinem menschlichen Wesen wahres Verstehen zu finden. Nicht einer meiner Freunde akzeptierte mich ohne Vorbehalt, weder Zaza, die für mich betete, noch Jacques, der mich zu abstrakt fand, noch Pradelle, der meine ewige Umgetriebenheit und meine Vorurteile beklagte. Was sie alle kopfscheu machte, war das, was in mir am allerhartnäckigsten bestand: meine Ablehnung jener mittelmäßigen Existenz, in die sie alle auf die eine oder andere Art einwilligten, und meine regellosen Bemühungen, aus ihr hinauszugelangen. Ich versuchte mir diesen Zustand selber zu begründen. ‹Ich bin nicht wie die anderen, damit muss ich mich abfinden›, behauptete ich mir selbst gegenüber; aber ich fand mich nicht ab. Wenn ich von den anderen getrennt war, verband mich nichts mehr mit der Welt: Sie wurde zu einem Schauspiel, das mich überhaupt nichts anging. Ich hatte nacheinander auf Ruhm, auf Glück, auf das Dienen verzichtet; jetzt interessierte mich sogar das bloße Leben nicht mehr. Augenblicksweise verlor ich vollkommen den Sinn für die Wirklichkeit: Straßen, Autos, Vorübergehende waren nur ein Ablauf von Erscheinungen, von dem meine namenlose Gegenwart sich einfach mitnehmen ließ. Es kam vor, dass ich mir voll Stolz und Furcht einredete, dass ich wahnsinnig sei: Der Abstand zwischen hartnäckiger Einsamkeit und Wahnsinn ist nicht sehr groß. Ich hatte viele Gründe, in geistige Verwirrung zu geraten. Seit zwei Jahren schon war ich verzweifelt bemüht, einer Falle zu entrinnen, fand aber keinen Ausweg daraus: Unaufhörlich stieß ich an unsichtbare Hindernisse an; das konnte nur damit enden, dass eine Art von Schwindel mich erfasste. Meine Hände blieben leer; ich half mir über meine Enttäuschung hinweg, indem ich mich gleichzeitig darin bestärkte, dass ich eines Tages alles besitzen würde und dass nichts etwas wert sei: Ich verstrickte mich in diesen Widerspruch. Vor allem aber lebte in mir ein Übermaß an Gesundheit und Jugend, dennoch aber blieb ich ganz auf das Haus und die Bibliotheken beschränkt: Diese nicht ausgelebte Vitalität entfesselte ziellose Stürme in meinem Kopf und in meinem Herzen.
    Die Erde war nichts mehr für mich, ich stand ‹außerhalb des Lebens›, ich wünschte nicht einmal mehr zu schreiben; die furchtbare Eitelkeit aller Dinge würgte mich an der Kehle; aber ich hatte genug vom Leiden, im vorhergehenden Winter hatte ich zu viel geweint; ich erfand eine Hoffnung für mich. In Augenblicken vollkommener Unbeteiligtheit, in denen sich das Weltall in ein Spiel der Illusionen aufzulösen schien und mein eigenes Ich sich vernichtigte, blieb etwas noch bestehen: etwas Unzerstörbares, Ewiges; meine Gleichgültigkeit

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