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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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sich, um Raymond Aron zu hören, dem allgemein eine große Zukunft als Philosoph vorausgesagt wurde. Jemand zeigte mir auch Daniel Lagache, der sich der Psychiatrie widmen wollte. Zur allgemeinen Verwunderung hatte Jean-Paul Sartre im Schriftlichen versagt. Der ‹Concours› kam mir schwierig vor, doch ich verlor nicht den Mut: Ich würde eben arbeiten, so viel ich musste, aber in einem Jahr würde ich fertig sein: Ich fühlte mich schon jetzt beinahe frei. Ich glaube auch, dass es mir sehr gutgetan hatte, mich auszuleben, mich zu zerstreuen, einen Luftwechsel vorzunehmen. Ich hatte so sehr mein Gleichgewicht wiedergefunden, dass ich sogar mein Tagebuch nicht mehr führte. ‹Ich wünsche mir nur eine immer größere Intimität mit der Welt und dass ich diese Welt in einem Werke auszudrücken vermag›, bemerkte ich in einem Brief an Zaza. Ich war ausgezeichneter Stimmung, als ich im Limousin ankam, und obendrein bekam ich auch noch einen Brief von Jacques. Er erzählte von Biskra, von kleinen Eseln, runden Sonnenkringeln, vom Sommer: Er erinnerte an unsere Begegnung, die er ‹mes seuls garde-à-vous d’alors› nannte; er versprach: ‹Nächstes Jahr werden wir es aber richtig machen.› Meine Schwester, die weniger als ich darauf trainiert war, Kryptogramme zu entziffern, fragte mich nach dem Sinn dieser Äußerung. «Das soll heißen, dass wir heiraten», antwortete ich triumphierend.
    Welch ein schöner Sommer! Keine Tränen, keine einsamen Ergüsse, keine brieflichen Stürme mehr. Das Land war meine ganze Wonne wie zu der Zeit, da ich fünf, da ich zwölf Jahre war, und die Azurbläue genügte, um mir den Himmel auszufüllen. Ich wusste jetzt, was der Duft des Geißblatts verhieß und was der Morgentau bedeutete. In den Hohlwegen, bei meinen Spaziergängen durch blühende Buchweizenfelder, durch Heidekraut und Stechginster, erkannte ich die unzähligen Schattierungen meiner Leiden und meines Glücks. Ich machte mit meiner Schwester viele Wanderungen. Oft badeten wir in unseren Unterkleidern in den braunen Wassern der Vézère; wir trockneten uns im Grase, das nach Minze roch. Sie zeichnete, ich las. Selbst gesellige Unternehmungen störten mich nicht mehr. Meine Eltern hatten den Verkehr mit alten Freunden wiederaufgenommen, die den Sommer auf einem Schloss in der Umgegend verlebten; diese hatten drei erwachsene Söhne, recht hübsche Burschen, die alle die Juristenlaufbahn einschlugen und mit denen wir gelegentlich Tennis spielten. Ich gab mich mit vollem Herzen dem Vergnügen hin. Zartfühlenderweise machte ihre Mutter die unsere darauf aufmerksam, dass sie als Schwiegertöchter nur Mädchen mit Mitgift akzeptieren würde: Wir lachten herzlich darüber, denn wir betrachteten diese gesetzten jungen Leute ohne alle Begehrlichkeit.
    Im gleichen Jahr noch wurde ich nach Laubardon eingeladen. Meine Mutter hatte bereitwillig hingenommen, dass ich mich in Bordeaux mit Jean Pradelle traf, der in jener Gegend seine Ferien verbrachte. Es war ein bezaubernder Tag. Entschieden bedeutete Pradelle viel für mich, Zaza jedoch noch mehr. Strahlend fuhr ich weiter nach Laubardon.
    Zaza hatte im Juni die außergewöhnliche Leistung vollbracht, beim ersten Anlauf bereits ihr Zeugnis in Philologie zu erringen. Dennoch hatte sie in diesem Jahr sehr wenig Zeit auf ihre Studien verwendet. Ihre Mutter nahm immer tyrannischer ihre Anwesenheit und ihre Dienste in Anspruch. Madame Mabille hielt Sparsamkeit für die oberste Tugend; sie hätte es für unmoralisch gehalten, von Lieferanten Produkte zu beziehen, die man im Hause herstellen konnte, ob es sich nun um Gebäck, um Eingemachtes, um Wäsche, Kleider oder Mäntel handelte. Während der schönen Jahreszeit suchte sie oft um sieben Uhr morgens bereits mit ihren Töchtern die Markthallen auf, um sich Obst und Gemüse zu niedrigem Preis zu beschaffen. Wenn die kleinen Mabilles neue Kleidung brauchten, musste Zaza etwa zehn Warenhäuser abklappern; aus jedem brachte sie ein Bündel Stoffmuster mit, die Madame Mabille auf Qualität des Gewebes und Preis einer vergleichenden Prüfung unterzog; nach langer Beratung ging Zaza dann wiederum hin und kaufte den gewählten Stoff. Diese Aufgaben und die Last der gesellschaftlichen Unternehmungen, die seit dem Aufstieg von Monsieur Mabille ins Vielfache angewachsen waren, erschöpften Zaza vollkommen. Es gelang ihr nicht, sich zu überzeugen, dass sie durch Abgrasen sämtlicher Modesalons und Warenhäuser getreulich die Lehren des Evangeliums

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