Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
Vom Netzwerk:
Verdruss. Dann aber schleppte der Tag sich mühselig hin. Eier in Gelee, Schinkenröllchen, verschiedene Dinge in Aspik, Schüsselchen, Näpfchen, Sülze, Pastete, kaltes Huhn, Braten, Terrinen, Eingemachtes, Kuchen, Torten, Teegebäck: Alle Damen waren mit Eifer ihren geselligen Pflichten nachgekommen. Man stopfte sich voll mit Nahrung, man lachte ohne Heiterkeit; man sprach ohne Überzeugung: Niemand schien sich zu amüsieren. Gegen Ende des Nachmittags fragte mich Madame Mabille, ob ich wisse, wohin Zaza verschwunden sei; sie machte sich auf die Suche, und ich begleitete sie. Wir fanden Zaza, wie sie am Fuße eines Wasserfalls im Adour herumplanschte. Als Badekostüm hatte sie einen Lodenmantel angelegt. Madame Mabille schalt sie aus, jedoch mit lachender Stimme: Sie verschwendete ihre Autorität nicht an solche geringfügigen Vergehen. Ich verstand sehr gut, dass Zaza das Bedürfnis nach Einsamkeit, nach starken Empfindungen und vielleicht auch nach einer Reinigung am Ende dieses erhitzenden Nachmittags verspürt hatte, und wurde wieder heiter: Sie war noch nicht dazu bereit, sich einfach in den satten Schlaf der Matronen hinübergleiten zu lassen.
    Dennoch hatte ihre Mutter, darüber war ich mir vollkommen klar, nach wie vor großen Einfluss auf sie. Madame Mabille verfolgte bei ihren Kindern eine geschickte Politik; solange sie noch klein waren, behandelte sie sie mit heiterer Nachsicht; späterhin war sie großzügig in kleinen Dingen; doch handelte es sich um wichtige Angelegenheiten, blieb ihr Kredit völlig unangetastet bestehen. Sie zeigte gelegentlich Lebhaftigkeit und einen gewissen Charme; stets hatte sie ihrer jüngeren Tochter gegenüber eine besondere Zärtlichkeit an den Tag gelegt, und diese hatte sich durch ihr Lächeln denn auch einfangen lassen: Ebenso gut wie der Respekt lähmte auch die Liebe bei Zaza alle Regungen der Revolte. Eines Abends jedoch rebellierte sie. Mitten beim Abendessen erklärte Madame Mabille mit scharfer Stimme: «Ich verstehe nicht, wie jemand, der glaubt, mit Ungläubigen verkehren kann.» Ich spürte angstvoll, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Empört entgegnete Zaza: «Niemand hat das Recht, andere zu richten. Gott führt die Menschen auf den Wegen, die er selbst für sie wählt.» – «Ich richte nicht», erklärte Madame Mabille sehr kühl. «Wir müssen für die verirrten Seelen beten, dürfen uns aber nicht von ihnen anstecken lassen.» Zaza erstickte fast vor Zorn, das aber hob meine Stimmung. Dennoch spürte ich, dass die Atmosphäre von Laubardon mir diesmal noch feindlicher war als im vergangenen Jahr. Später in Paris erzählte mir Stépha, die Kinder hätten sich darüber lustig gemacht, wie schlecht ich gekleidet gewesen sei: Sie lachten auch an dem Tage, als mir Zaza, ohne mir den Grund dafür zu nennen, eines ihrer Kleider geliehen hatte. Ich besaß keine Eigenliebe und war keine gute Beobachterin: Ich nahm mit Gleichgültigkeit auch noch viele andere Niederlagen hin. Nichtsdestoweniger war mir das Herz zuweilen schwer. Stépha ging aus Neugier nach Lourdes, worauf ich mich noch einsamer fühlte. Eines Abends setzte sich Zaza an das Klavier. Sie spielte Chopin; sie spielte gut. Ich betrachtete ihren Kopf mit dem dichten schwarzen Haar, das durch einen sehr braven Scheitel von rührender Weiße durchschnitten war, und sagte mir, dass diese leidenschaftliche Musik in Wahrheit ihr Wesen ausdrückte; aber die Mutter und ihre ganze Familie standen zwischen uns, und vielleicht würde sie eines Tages sich selbst verleugnen, ich aber sie verlieren; im Augenblick war sie auf alle Fälle unerreichbar für mich. Ich verspürte einen so scharfen Schmerz, dass ich mich erhob, den Salon verließ und weinend schlafen ging. Die Tür ging auf; Zaza trat an mein Bett, neigte sich über mich und küsste mich. Unsere Freundschaft war immer so zurückhaltend gewesen, dass die Freude über diese Geste mich förmlich überwältigte.
    Stépha kehrte aus Lourdes zurück; sie brachte für die Kleinen eine große Bonbonschachtel mit: «Das ist sehr nett von Ihnen, Mademoiselle», sagte Madame Mabille mit eisiger Miene zu ihr, «aber Sie hätten sich diese Ausgabe sparen können: Die Kinder brauchen keine Bonbons von Ihnen.» Zusammen fielen wir im Gespräch über Zazas Familie und ihre Freunde her, was mich ein wenig erleichterte. Im Übrigen verlief auch in diesem Jahr das Ende meines Aufenthalts angenehmer als der Beginn. Ich weiß nicht, ob Zaza sich mit ihrer Mutter

Weitere Kostenlose Bücher