Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
Vom Netzwerk:
einem definitiven Bruch mit der ‹Sorbonne› zu zwingen, beschlossen habe, sie den Winter über nach Berlin zu schicken. So hätten früher, sagte sie, um einer ungehörigen oder lästigen Liaison ein Ende zu machen, die Familien der dortigen Gegend ihre Söhne nach Südamerika expediert.
    Niemals hatte ich Zaza so mitteilsame Briefe geschrieben wie während dieser letzten Wochen; niemals hatte sie sich auch mir so freimütig anvertraut. Als sie indessen Mitte Oktober nach Paris zurückkam, begann unsere Freundschaft bei der Wiederaufnahme eher schlecht. Aus der Entfernung sprach sie mir immer nur von ihren Schwierigkeiten, ihren Revolten, und ich fühlte mich als ihre Verbündete; in Wirklichkeit aber war ihre Haltung zwiespältig: Sie bewahrte ihrer Mutter allen Respekt, alle Liebe, sie blieb im Grunde doch solidarisch mit ihrem Milieu. Ich konnte mich mit dieser Teilung nicht länger abfinden. Ich hatte die Feindseligkeit von Madame Mabille gründlich ermessen und einsehen müssen, dass zwischen den beiden Lagern, denen wir angehörten, kein Kompromiss möglich war: Die ‹Rechtdenkenden› strebten nach der Vernichtung der ‹Intellektuellen› und umgekehrt. Wenn Zaza sich nicht für mich entschied, so paktierte sie mit Gegnern, die erbittert darauf aus waren, mich zugrunde zu richten, und das nahm ich ihr übel. Sie fürchtete sich vor der Reise, zu der sie gezwungen wurde, sie quälte sich; ich zeigte meinen Groll, indem ich es ablehnte, an ihren Sorgen teilzunehmen; vielmehr überließ ich mich einem wahren Überschwang an guter Laune, mit dem sie nichts anzufangen wusste. Ich betonte stark meine große Intimität mit Stépha und stimmte mich, mit allzu viel Überschwang lachend und schwatzend, ganz auf deren Niveau ab; oft fühlte sich Zaza durch unsere Reden schockiert; mit gerunzelten Brauen hörte sie zu, wenn Stépha erklärte, die Menschen seien umso internationalistischer gesinnt, je gescheiter sie seien. Aus Reaktion gegen unsere ‹Polnische-Studentinnen-Manieren› spielte sie mit besonderer Strenge die junge Französin ‹comme il faut›, und meine Befürchtungen verdoppelten sich: Vielleicht würde sie schließlich doch zum Feinde übergehen. Ich wagte nicht mehr, ganz unbefangen mit ihr zu reden, sodass ich sie lieber in der Gesellschaft von Pradelle, Lisa, meiner Schwester oder Stépha traf, als dass ich mit ihr allein war. Sicherlich fühlte sie, dass zwischen uns eine Kluft entstand; außerdem nahmen ihre Vorbereitungen für die Abreise sie beträchtlich in Anspruch. Wir sagten uns ohne große Überzeugung Anfang November auf Wiedersehen.
    Die Universität tat ihre Pforten wieder auf. Ich hatte ein Jahr übersprungen und kannte außer Clairaut keinen meiner neuen Studienkameraden; kein Amateur, kein Dilettant war unter ihnen zu finden: Alle büffelten wie ich einzig für den ‹Concours›. Ich stellte fest, dass alle abweisende Gesichter hatten und sich wichtigtaten. Ich beschloss, sie zu ignorieren. Ich arbeitete mit aller Kraft. An der Sorbonne und an der École Normale nahm ich an allen für die Vorbereitung zur Agrégation dienenden Kursen teil, und je nach meinem Stundenplan setzte ich meine Studien privat in den Bibliotheken Sainte-Geneviève, Victor Cousin oder der Nationale fort. Am Abend las ich Romane, oder ich ging aus. Da ich älter geworden war und sie bald verlassen würde, gestatteten mir meine Eltern in diesem Jahr von Zeit zu Zeit, des Abends allein oder mit einer Freundin ins Theater zu gehen. Ich sah
L’Étoile de Mer
von Man Ray, alle Programme der ‹Ursulines›, des Studio  28 und des Ciné-Latin, alle Filme mit Brigitte Helm, mit Douglas Fairbanks und mit Buster Keaton. Ich besuchte alle Theater des ‹Cartel›. Unter dem Einfluss von Stépha vernachlässigte ich mich weniger als früher. Der Mann, der sich auf die ‹Agrégation› in Deutsch vorbereitete, hatte sie mir gesagt, machte mir zum Vorwurf, dass ich meine ganze Zeit über den Büchern verbringe: Zwanzig Jahre, das sei noch zu früh, um die ‹femme savante› zu spielen. Auf die Dauer würde ich hässlich werden. Sie hatte protestiert, aber sich doch geärgert: Sie wollte nicht, dass ihre beste Freundin wie ein unansehnlicher Blaustrumpf aussähe; sie behauptete, rein physisch betrachtet, besäße ich Möglichkeiten, und bestand darauf, dass ich Nutzen daraus zöge. Ich fing an, oft zum Friseur zu gehen, ich interessierte mich für den Kauf eines Hutes oder die Anschaffung eines Kleides. Ich nahm

Weitere Kostenlose Bücher