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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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richtete sie es so ein, dass sie ihn kennenlernte und ihn ‹in die Hand bekam›. Das sei das Ewigweibliche in ihr, gab sie mir zu verstehen. Sie zog jedoch diesen Flirts geistige Gespräche und echte Kameradschaft vor; jede Woche diskutierte sie stundenlang in der ‹Closerie des Lilas› mit einem Rudel Ukrainer, die sich in Paris mit nicht ganz durchschaubaren Studien oder mit Journalismus beschäftigten. Täglich sah sie ihren spanischen Freund, den sie seit Jahren schon kannte und der ihr vorgeschlagen hatte, ihn zu heiraten. Ich traf ihn mehrmals bei ihr; er wohnte im gleichen Hotel. Er stammte von einer jener jüdischen Familien ab, die vier Jahrhunderte zuvor durch die Verfolgungen aus Spanien vertrieben worden waren. Er war in Konstantinopel geboren und hatte in Berlin studiert. Vorzeitig kahl, mit rundem Schädel und Gesicht, sprach er auf romantische Weise von seinem ‹Daimon›, besaß aber Sinn für Ironie und war mir sehr sympathisch. Stépha bewunderte an ihm, dass er, wiewohl völlig mittellos, es möglich machte zu malen, und teilte alle seine Ideen; diese waren dezidiert internationalistisch, pazifistisch und sogar auf eine utopische Art revolutionär. Ihn zu heiraten zögerte sie nur, weil sie an ihrer Freiheit hing.
    Ich machte ihnen meine Schwester bekannt, die sie sogleich in ihren Kreis aufnahmen, sowie auch meine Freunde. Pradelle hatte sich das Bein gebrochen; er hinkte leicht, als ich ihn Anfang Oktober auf der Terrasse des Luxembourg traf. Er schien Stépha allzu brav, sie aber bestürzte ihn durch ihre Redseligkeit. Mit Lisa verstand sie sich besser. Diese wohnte jetzt in einem Studentinnenheim, dessen Fenster auf das ‹Petit Luxembourg› gingen. Sie verdiente schlecht und recht durch Stundengeben ihren Lebensunterhalt, bereitete sich auf eine Prüfung in Naturwissenschaften vor und schrieb an einer Diplomarbeit über Maine de Biran; aber sie hatte nicht vor, es jemals mit der ‹Agrégation› zu versuchen; ihre Gesundheit war zu schwach. «Mein armes Hirn!», pflegte sie zu sagen, indem sie ihren kleinen Kopf mit dem kurzen Haar zwischen die Hände nahm. «Zu denken, dass ich mich nicht auf meinen Kopf verlassen kann! Und dass ich doch alles aus ihm herausziehen muss! Es ist wirklich unmenschlich: Eines Tages wird er noch ganz versagen.» Sie interessierte sich weder für Maine de Biran noch für die Philosophie noch für sich selbst. «Ich frage mich, was für ein Vergnügen ihr daran finden könnt, mich zu sehen!», sagte sie oft mit ihrem kleinen fröstelnden Lächeln. Sie langweilte mich aber nicht, weil sie sich niemals mit bloßen Worten begnügte und weil oft ihr Misstrauen sie besonders hellsichtig machte.
    Mit Stépha sprach ich viel von Zaza, die ihren Aufenthalt in Laubardon diesmal länger ausdehnte. Ich hatte ihr von Paris aus
The Constant Nymph
und einige andere Bücher geschickt; Madame Mabille, erzählte mir Stépha, sei böse geworden und habe erklärt: «Ich hasse diese Intellektuellen!» Zaza begann ihr ernstlich Sorgen zu machen: Es würde nicht leicht sein, ihr eine arrangierte Heirat aufzuzwingen. Madame Mabille bedauerte, dass sie sie die Sorbonne hatte besuchen lassen; es schien ihr jetzt sehr dringlich, ihre Tochter wieder fest in die Hand zu bekommen, sehr gern hätte sie sie meinem Einfluss entzogen. Zaza schrieb mir, sie habe ihrer Mutter von unserem Tennisprojekt erzählt, diese aber habe sich furchtbar aufgeregt: ‹Sie hat erklärt, sie ließe diese Sorbonne-Sitten nicht zu und ich dürfe keinesfalls an Tennispartien teilnehmen, die von einer kleinen Studentin von zwanzig Jahren organisiert worden seien und bei denen ich junge Leute treffen würde, von denen man nicht einmal wisse, aus was für Familien sie kommen. Ich sage Ihnen das ganz offen, denn es ist mir lieber, Sie sind sich über die Geisteshaltung klar, an der ich mich hier unaufhörlich stoße und die dennoch eine christliche Vorstellung von Gehorsam mich zu respektieren zwingt. Heute aber bin ich wirklich bis zum Weinen enerviert; die Dinge, die ich liebe, lieben sich untereinander nicht; unter dem Vorwand moralischer Prinzipien habe ich Sachen anhören müssen, die mich empören … Ich habe mich ironisch erboten, ein Schriftstück zu unterzeichnen, durch das ich mich verpflichte, niemals weder Pradelle noch Clairaut noch irgendeinen Ihrer Freunde zu heiraten, aber damit habe ich Mama nicht beruhigen können.› In ihrem folgenden Brief kündigte sie mir an, dass ihre Mutter, um sie zu

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