Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
sehr enttäuschte. Dennoch belebte sich nach zwei oder drei Gläsern das Gespräch; wir fragten uns nach Jacques, vor allem danach, was aus ihm werden würde. «Das wird ganz auf seine Frau ankommen», antwortete Olga. Sie seufzte. «Ich glaube leider nicht, dass sie die Richtige für ihn ist.» – «Wer denn?», fragte ich. «Odile Riaucourt. Wussten Sie denn nicht, dass er Luciens Schwester heiratet?» – «Nein», entgegnete ich verblüfft. Bereitwillig teilte sie uns alle Einzelheiten mit. Nach seiner Rückkehr aus Algerien hatte Jacques drei Wochen auf dem Landsitz der Riaucourts verbracht; die Kleine hatte sich in ihn verliebt und ihren Eltern sehr bestimmt erklärt, dass sie ihn heiraten wolle. Lucien fühlte bei Jacques etwas vor, und siehe da, er willigte ein. Er kannte sie kaum, und abgesehen von einer beträchtlichen Mitgift hatte sie nach Olgas Ansicht weiter keine Meriten. Ich begriff jetzt, weshalb ich Jacques niemals unter vier Augen sah; er wagte weder zu schweigen noch offen mit mir zu sprechen, und wenn er mich heute Abend versetzte, so zu dem Zweck, dass Olga mir die Augen öffnete. So gut ich konnte, spielte ich die Gleichgültige. Kaum aber waren wir allein, gaben wir beide, meine Schwester und ich, unserer Verblüffung freimütig Ausdruck. Langsam wanderten wir in Paris umher, tief betrübt, den Helden unserer Jugend in einen berechnenden Bourgeois verwandelt zu sehen.
Als ich das nächste Mal zu Jacques kam, sprach er zu mir mit einiger Verlegenheit von seiner Verlobten und mit großer Wichtigkeit von seinen neuen Verantwortungen. Eines Abends bekam ich von ihm einen mysteriösen Brief: Er sei es gewesen, sagte er darin, der mir den Weg gewiesen habe, jetzt aber bleibe er hinter mir zurück, kämpfe gegen den Wind an und könne mir nicht folgen: ‹Denke auch daran, dass der Wind, wenn er zur Müdigkeit hinzukommt, einen schließlich zum Weinen zwingt.› Ich war zwar bewegt, antwortete aber nicht; es gab keine mögliche Antwort darauf. So oder so war diese Geschichte zu Ende.
Welche Bedeutung mochte sie wohl für Jacques gehabt haben? Und er, wer war er im Grunde? Ich täuschte mich, wenn ich glaubte, seine Heirat entdecke mir sein wahres Wesen und nach einer Romantikperiode werde er nur der ruhige Bürger werden, der bereits irgendwo in ihm steckte. Ich sah ihn manchmal mit seiner Frau: Ihre Beziehungen zueinander waren sauersüß. Wir brachen unseren Verkehr ab, aber auch künftighin traf ich ihn ziemlich oft in den Bars von Montparnasse, wo er einsam, mit aufgeschwemmtem Gesicht und tränenden Augen, sichtlich unter dem Einfluss von Alkohol, umhersaß. Er setzte fünf oder sechs Kinder in die Welt und stürzte sich in eine gefahrvolle Spekulation: Er schaffte sein ganzes Material zu einem Kollegen und ließ die alte Fabrik Laiguillon niederreißen, um sie durch ein großes Mietshaus zu ersetzen: Unglücklicherweise gelang es ihm nicht, nach Abbruch des Hauses das nötige Kapital für den Neubau aufzubringen; er überwarf sich mit dem Vater seiner Frau und seiner eigenen Mutter, die alle beide abgelehnt hatten, das Risiko dieses Unternehmens zu teilen; er selbst verlor dabei den letzten Heller und musste sein Material zunächst verpfänden, dann verkaufen. Ein paar Monate lang arbeitete er in dem Unternehmen seines Kollegen, wurde jedoch bald entlassen.
Selbst wenn er vorsichtig vorgegangen wäre und seine Idee erfolgreich hätte durchführen können, würde man sich gefragt haben, weshalb Jacques die Firma liquidieren wollte; es ist sicherlich nicht ohne Bedeutung, dass dort nicht Eisenwaren, sondern Buntglasfenster fabriziert wurden. Während der Jahre, die der Ausstellung von 1925 folgten, nahm das Kunstgewerbe einen gewaltigen Aufschwung; Jacques begeisterte sich für die moderne Ästhetik und meinte, Kirchenfenster böten hier enorme Möglichkeiten; theoretisch hatte er recht, aber in der Praxis musste man davon sehr viel abstreichen. In der Herstellung von Möbeln, Glaswaren, Geweben, Tapeten konnte und musste man sogar erfinden, denn das bürgerliche Publikum war auf Neuheit erpicht; Jacques aber hatte kleine Landpfarrer mit rückständigem Geschmack zufriedenzustellen; er konnte sich nur entweder ruinieren oder aber in seinen Werkstätten die traditionelle Hässlichkeit der Laiguillonfenster auch weiterhin kultivieren; die Hässlichkeit widerte ihn an. Er wollte sich deshalb lieber mit Geschäften abgeben, die nichts mit Kunst zu tun hatten.
Ohne Geld, ohne Arbeit lebte
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