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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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zum Überdruss wiederholt, ich wolle ‹alles sagen›, was teils zu viel, teils zu wenig war. Voller Unruhe entdeckte ich, dass der Roman tausend Probleme stellt, von denen ich nichts geahnt hatte.
    Ich verlor den Mut indessen nicht; die Zukunft kam mir plötzlich zwar schwieriger vor, als ich sie mir vorgestellt hatte, aber auch wirklicher und sicherer; anstelle formloser Möglichkeiten sah ich vor mir ein deutlich abgestecktes Feld mit seinen Problemen, Aufgaben, Materialien, Instrumenten und Widerständen. Ich ging mit meinen Fragen noch weiter: Was tun? Alles war noch zu tun, alles, was ich vormals hatte tun wollen: den Irrtum bekämpfen, die Wahrheit finden und künden, die Welt aufklären, vielleicht ihr sogar zu einer Wandlung verhelfen. Ich würde Zeit brauchen und Anstrengungen machen müssen, um auch nur zum Teil die Versprechungen zu halten, die ich mir selbst gegeben hatte: Doch das erschreckte mich nicht. Nichts war freilich gewonnen, aber alles blieb möglich.
    Zudem aber war mir eine große Chance zuteilgeworden; im Angesicht dieser Zukunft war ich auf einmal nicht mehr allein. Bis dahin waren die Männer, auf die ich Wert gelegt hatte – Jacques und in geringerem Maße auch Herbaud –, von anderer Art gewesen als ich: unbefangen, flüchtig, ein wenig planlos, von einer verhängnisvollen Grazie gewissermaßen gezeichnet; es war unmöglich gewesen, ohne Vorbehalt mit ihnen zu verkehren. Sartre entsprach genau dem, was ich mir mit fünfzehn Jahren gewünscht und verheißen hatte: Er war der Doppelgänger, in dem ich in einer Art von Verklärung alles wiederfand, wovon ich auch selber besessen war. Mit ihm würde ich immer alles teilen können. Als ich mich Anfang August von ihm trennte, wusste ich, dass er aus meinem Leben nie mehr verschwinden würde.
    Bevor dieses aber eine endgültige Form annahm, musste ich zunächst meine Beziehungen zu Jacques klarstellen.
     
    Was würde ich verspüren, wenn ich mich unmittelbar mit meiner Vergangenheit konfrontiert sah? So fragte ich mich ängstlich, als ich Mitte September, von Meyrignac zurückkommend, an der Tür des Hauses Laiguillon schellte. Jacques kam aus den Büros im Erdgeschoss, drückte mir die Hand, lächelte mich an und führte mich in die Wohnung hinauf. Auf dem roten Sofa sitzend, hörte ich ihm zu, während er von seinem Militärdienst in Afrika, der Langeweile dort sprach; ich war ganz froh, doch keineswegs bewegt. «Wie leicht wir uns wieder zusammenfinden!», sagte ich zu ihm. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. «Das gehört sich doch auch so!» Das Halbdunkel der Galerie, seine Gebärden, seine Stimme, alles erkannte ich wieder – vielleicht sogar allzu gut. Am Abend schrieb ich in mein Tagebuch: ‹Ich werde ihn niemals heiraten. Ich liebe ihn nicht mehr.› Alles in allem überraschte diese brutale Liquidation mich nicht: ‹Es ist allzu klar, dass in den Momenten, in denen ich ihn am meisten liebte, immer ein tiefgreifendes Missverhältnis zwischen uns bestand, das ich nur durch Verzicht auf mich selbst überwinden konnte, oder aber ich lehnte mich gegen die Liebe auf.› Ich hatte mich selbst belogen, als ich mir einredete, ich warte noch diese Begegnung ab, um mich über meine Zukunft zu entscheiden: Seit Wochen bereits waren die Würfel gefallen.
    Paris war noch leer, und ich sah Jacques häufig wieder. Er erzählte mir seine Geschichte mit Magda auf eine gewisse romantische Art. Ich meinerseits sprach zu ihm von meinen neuen Freundschaften, die er nicht sonderlich zu schätzen schien. War er ihretwegen verstimmt? Was war ich im Grunde für ihn? Was erwartete er von mir? Ich vermochte es umso weniger zu erraten, als fast immer, ob bei ihm zu Hause oder im ‹Stryx›, Dritte mit uns waren; wir gingen mit Riquet, mit Olga aus. Ich quälte mich bis zu einem gewissen Grade mit meinen Gedanken herum. Aus der Entfernung hatte ich Jacques mit meiner Liebe überschüttet, wenn er sie aber jetzt von mir fordern sollte, waren meine Hände leer. Er verlangte jedoch nichts von mir, sondern sprach nur manchmal von seiner Zukunft in einem auf unbestimmte Weise fatalistischen Ton.
    Ich lud ihn eines Abends zum Zwecke der Einweihung meiner neuen Wohnung mit Riquet, Olga und meiner Schwester zu mir ein. Mein Vater hatte meinen Umzug finanziert, mein Zimmer gefiel mir sehr. Meine Schwester half mir, auf einem Tisch Kognak- und Wermutflaschen, Gläser, Teller und kleines Gebäck aufzustellen. Olga erschien etwas verspätet und allein, was uns

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