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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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er lächelte. Großpapa schenkte mir einen broschierten Band mit gelbem Deckel, dessen Seiten unbedruckt waren; Tante Lili bedeckte sie mit einer Kopie meines Manuskripts in ihrer sauberen Klosterschülerinnenschrift; stolz betrachtete ich diese Sache, die beinahe wirklich war und mir ihre Existenz verdankte. Ich verfasste noch zwei oder drei andere Werke, aber mit weniger Erfolg. Manchmal begnügte ich mich damit, Buchtitel zu erfinden. Auf dem Lande spielte ich Buchhändlerin – das silberne Blatt der Birke nannte ich ‹Königin des Azurs›, das glatte der Magnolie hieß ‹Schneeblume› – und richtete wohldurchdachte Auslagen her. Ich war mir nicht recht klar darüber, ob ich später lieber Bücher schreiben oder verkaufen wollte, aber in meinen Augen gab es jedenfalls nichts Köstlicheres in der Welt. Meine Mutter war bei einer Leihbibliothek in der Rue Saint-Placide abonniert. Unüberschreitbare Schranken trennten die dicht mit Büchern besetzten Gänge ab, die sich im Unendlichen verloren wie die Tunnel der Metro. Ich beneidete die alten Damen mit den hohen Stehkragen, die ihr Leben lang mit den schwarz eingeschlagenen Büchern umgingen, deren Titel auf einem orangefarbenen oder grünen Rechteck standen. Von Schweigen umgeben, durch die düstere Monotonie der Buchhüllen gleichsam maskiert, waren die Worte da und warteten, dass jemand kam und sie entzifferte. Ich träumte davon, ich könne mich ganz insgeheim in die staubigen Alleen hineinbegeben und niemals wieder aus ihnen zum Vorschein kommen.
    Einmal im Jahr ungefähr gingen wir ins ‹Châtelet›. Stadtrat Alphonse Deville, dessen Sekretär mein Vater zu der Zeit gewesen war, als beide noch die Advokatenlaufbahn verfolgten, stellte uns die für die Stadtverwaltung von Paris reservierte Loge zur Verfügung. Auf diese Weise sah ich
La Course au bonheur
,
Die Reise um die Welt in achtzig Tagen
und groß aufgemachte Märchenvorstellungen. Ich bewunderte den roten Vorhang, die Lichter, die Dekorationen, das Ballett der Blumenmädchen; aber die Geschehnisse auf der Bühne gewannen mir nur mäßiges Interesse ab. Die Schauspieler waren zu wirklich, und doch wieder nicht wirklich genug. Die prächtigsten Requisiten blitzen weniger als die Karfunkelsteine im Märchen. Ich klatschte in die Hände, ich äußerte laut meinen Beifall, aber das ruhige Tête-à-tête mit dem bedruckten Papier war mir im Grunde lieber.
    Was das Kino anbelangt, so hielten es meine Eltern für einen vulgären Zeitvertreib. Charlie Chaplin fanden sie zu kindisch selbst für uns Kinder. Als uns indessen ein Freund von Papa eine Einladung zu einer privaten Vorführung verschafft hatte, sahen wir eines Vormittags in einem Saal an den Boulevards
L’ami Fritz
; alle stimmten überein, dass der Film reizend sei. Einige Wochen später sahen wir unter den gleichen Bedingungen
Le roi de Camargue
. Der Held, der mit einem sanften blonden Landmädchen verlobt war, ritt am Meeresufer entlang; er stieß auf eine nackte Zigeunerin, die mit funkelnden Augen seinem Pferd einen Schlag versetzte; im ersten Moment war er sprachlos; später schloss er sich mit dem schönen dunklen Mädchen in einem Häuschen inmitten der Sümpfe ein. Ich bemerkte, dass Mama und Großmama einander entsetzte Blicke zuwarfen; ihre Unruhe gab mir zu denken, und ich erriet, dass diese Geschichte nichts für mich war, doch begriff ich nicht recht, warum. Ich war mir nicht darüber klar, dass, während die Blonde verzweifelt die moorige Flussniederung durchstrich und darin versank, die abscheulichste der Sünden begangen zu werden im Begriffe war. Die stolze Schamlosigkeit der Zigeunerin hatte keinerlei Eindruck auf mich gemacht. In der
Legenda aurea
, in den Erzählungen von Schmid war ich auf aufregendere Nuditäten gestoßen. Immerhin wurden wir nicht wieder ins Lichtspieltheater geführt.
    Ich bedauerte es weiter nicht; ich hatte meine Bücher, meine Spiele und rings um mich her Objekte der Betrachtung, die mein Interesse mehr verdienten als solche unplastischen Bilder: Männer und Frauen aus Fleisch und Blut. Im Gegensatz zu den stummen Dingen beunruhigten mich mit einem Bewusstsein begabte Menschen nicht: Sie waren meinesgleichen. Zu der Stunde, da die Fassaden der Häuser transparent zu werden schienen, versuchte ich in die beleuchteten Fenster zu sehen; es trug sich nichts Besonderes zu; wenn aber ein Kind sich an einen Tisch setzte und las, bewegte es mich tief, mein eigenes Leben vor meinen Augen zu einem

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