Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Mann verwandelt; meine ganze Einbildungskraft verwendete ich stets darauf, mir mein Schicksal als Frau vorzustellen.
Dieses Schicksal stutzte ich mir auf meine Weise zurecht. Ich weiß nicht, weshalb, aber Tatsache ist, dass organische Phänomene mich bald nicht mehr interessierten. Auf dem Lande half ich Madeleine beim Füttern der Kaninchen und Hühner, doch diese lästigen Pflichten langweilten mich sehr schnell, auch lag mir wenig an der Berührung mit einem weichen Fell oder Flaum. Ich habe Tiere nie geliebt. Rot und runzlig, wie sie waren, fielen mir auch Babys mit ihren wässerigen Augen eher auf die Nerven. Wenn ich mich als Krankenschwester verkleidete, so, um Verwundete auf dem Schlachtfeld aufzusammeln, nicht um sie zu pflegen. Eines Tages machte ich meiner Cousine Jeanne mit einem birnenförmigen Gummiball eine Art von Einlauf: Ihre lächelnde Passivität reizte mich zum Sadismus; ich finde in meinem Gedächtnis keine andere analoge Erinnerung. Bei meinen Spielen übernahm ich Mütterrollen nur dann, wenn ich mit der Ernährungsseite nichts zu tun bekam. Voller Verachtung den Kindern gegenüber, die sich nur dann und wann mit ihren Puppen amüsierten, hatten meine Schwester und ich unsere besondere Art, die unseren zu betrachten: Sie konnten sprechen und denken, sie lebten in der gleichen Zeit wie wir und wurden im gleichen Rhythmus täglich vierundzwanzig Stunden älter, sie waren ein Abbild unser selbst. Im Grunde war ich eher neugierig als methodisch, eher eifrig als sorgsam im Einzelnen; aber ich gab mich gern schizophrenen Träumereien über Strenge und Sparsamkeit hin und machte Blondine nutzbar für diese Manie. Als vollkommene Mutter einer musterhaften kleinen Tochter, der ich eine ihr denkbar förderliche ideale Erziehung zuteilwerden ließ, fasste ich mein tägliches Dasein als eine Notwendigkeit auf. Ich akzeptierte bereitwillig die diskrete Mitarbeit meiner Schwester, der ich mit großer Autorität ihre eigenen Kinder aufziehen half. Aber ich lehnte einen Mann ab, der einen Teil meiner Verantwortung hätte an sich reißen können: Unsere Männer waren daher ständig unterwegs. Im Leben, das wusste ich, ging es freilich ganz anders zu: Eine Familienmutter hat immer einen Gatten neben sich; tausend mühselige Aufgaben fallen ihr zur Last. Wenn ich mir meine Zukunft ausmalte, schien mir diese Versklavtheit so drückend, dass ich darauf verzichtete, eigene Kinder zu haben; was mir wichtig schien, war nur die Formung ihrer Geister und Seelen. ‹Ich werde Lehrerin›, beschloss ich daraufhin.
Indessen gewährte die Art von Unterricht, wie ‹die Damen› ihn ausübten, dem Lehrenden nicht genügend Einfluss auf den Schüler; dieser müsste mir, so meinte ich, ganz ausschließlich gehören; ich würde seine Tage bis in die kleinsten Einzelheiten im Voraus planen und dabei jeden Zufall ausschalten; dank einer idealen Kombination von Beschäftigung und Zerstreuung würde ich, eine Gegnerin aller Vergeudung, jeden Augenblick nutzen. Ich sah nur ein einziges Mittel, um diesen Plan erfolgreich auszuführen: Ich würde Hauslehrerin in einer Familie werden. Meine Eltern erhoben heftig Einspruch dagegen. Mir selber war noch nicht bewusst, dass eine Hauslehrerin ein Wesen zweiter Klasse ist. Da ich die Fortschritte meiner Schwester hatte mit ansehen können, hatte ich auch die hohe Freude erlebt, Leere in Fülle verwandelt zu haben; ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Zukunft mir ein höheres Ziel zu bieten haben würde, als ein menschliches Wesen formend zu bestimmen. Nicht jedes beliebige übrigens. Ich bin mir heute klar darüber, dass ich, genau wie in meine Puppe Blondine, in meine zukünftige Schöpfung bereits mich selbst hineinprojizierte. Das war der Sinn, den ich meiner Berufung gab: Wenn ich erwachsen war, würde ich meine eigene Kindheit noch einmal überprüfen und nun ein makelloses Meisterwerk daraus machen. Ich erträumte mich als die absolute Voraussetzung meiner selbst und zugleich als meine Apotheose.
So schmeichelte ich mir, in Gegenwart und Zukunft allein mein Dasein zu beherrschen. Die Religion, die Geschichte, die Mythologien wiesen mir hingegen eine andere Rolle zu. Ich stellte mir oft vor, ich sei Maria Magdalena und trocknete mit meinem langen Haar Christus die Füße ab. Die meisten wirklichen oder Sagenheldinnen – die hl. Blandina, Johanna auf dem Scheiterhaufen, Griseldis, Genoveva von Brabant – erlangten in dieser oder der jenseitigen Welt Ruhm und Glück erst
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