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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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in die Hand; sie bekannten sich alle zu den gleichen Wahrheiten und Werten wie meine Eltern und meine Lehrerinnen; die Guten wurden belohnt, die Bösen bestraft; Missgeschicke stießen nur lächerlichen, dummen Leuten zu. Es genügte mir, dass diese wesentlichen Grundsätze gewahrt wurden, gewöhnlich suchte ich kaum nach einer Beziehung zwischen den Phantasien der Bücher und der Wirklichkeit; ich amüsierte mich darüber, wie ich im Kasperletheater lachte, nämlich etwas distanziert; deswegen haben mich auch, trotz der Hintergründe, welche die Erwachsenen scharfsinnig darin entdecken, die Romane der Madame de Ségur nie in Erstaunen versetzt. Madame Bonbec, General Dourakine, ebenso Herr Cryptogame, der Baron von Crac, Bécassine führten eine nur marionettenhafte Existenz. Eine Erzählung war eine schöne Sache, die in sich selbst genug war wie ein Puppenspiel oder ein Bild; ich war empfänglich für die unerlässlichen Bedingungen dieser Konstruktionen, die einen Anfang, eine bestimmte Ordnung und ein Ende haben mussten, in denen die Sätze einen Eigenglanz entfalteten wie die Farben eines Bildes. Zuweilen jedoch sprach das Buch zu mir mehr oder weniger undeutlich von der Welt, die mich umgab, oder von mir selbst; dann lud es mich zum Träumen oder zum Nachdenken ein, manchmal aber brachte es auch meine Sicherheit ins Wanken. Andersen lehrte mich die Melancholie; in seinen Märchen leiden, zerbrechen, verzehren sich die Dinge, ohne ihr Unglück zu verdienen; die kleine Seejungfer litt, bevor sie unterging, bei jedem ihrer Schritte, als ob sie auf glühenden Kohlen einhergehe, und dennoch hatte sie niemals etwas Böses getan: Ihre Qualen und ihr Tod lagen mir schwer auf dem Herzen. Ein Roman, den ich in Meyrignac las und der
Der Dschungelläufer
betitelt war, bestürzte mich aufs tiefste. Der Verfasser erzählte von außergewöhnlichen Abenteuern mit immerhin so großem Geschick, dass ich alles mitzuerleben meinte. Der Held hatte einen Freund mit Namen Bob, der, dicklich, genießerisch und ein guter Kamerad, auf der Stelle meine Sympathie gewann. Als die beiden zusammen in einem indischen Kerker schmachteten, entdeckten sie einen unterirdischen Gang, durch den ein Mensch sich kriechend hindurchschieben konnte. Bob kroch als Erster hindurch; plötzlich stieß er einen grässlichen Schrei aus; er war auf eine Pythonschlange gestoßen. Mit feuchten Händen und pochendem Herzen wohnte ich dem Drama bei: Die Schlange fraß ihn auf. Diese Geschichte hat mich lange Zeit hindurch verfolgt. Gewiss, der bloße Gedanke an den Vorgang des Aufgefressenwerdens genügte bereits, um mein Blut in den Adern zum Erstarren zu bringen; aber ich hätte mich doch weniger aufgeregt, wäre das Opfer mir verhasst gewesen. Bobs grauenhaftes Ende widersprach allen Regeln; demnach konnte ja freilich einfach alles passieren.
    Trotz ihrer Ausrichtung auf ein konventionelles Ideal erweiterten diese Bücher doch meinen Horizont; außerdem berauschte ich mich als Neophytin an der Zauberkunst, durch die gedruckte Zeichen in eine Erzählung verwandelt werden; der Wunsch kam in mir auf, diese Magie auch einmal umzukehren. An einem Tischchen sitzend, schrieb ich Sätze, die mir durch den Kopf gingen, auf Papier; das weiße Blatt bedeckte sich mit violetten Flecken, die eine Geschichte erzählten. Um mich her bekam die Stille des Vorzimmers etwas Federleichtes: Es kam mir vor, als zelebriere ich. Da ich in der Literatur nicht einen Reflex der Wirklichkeit suchte, kam ich auch niemals auf die Idee, das, was ich erlebt oder geträumt hatte, dem Papier anzuvertrauen; was mich amüsierte, war, mit Worten, wie ich es früher mit Holzwürfeln gemacht hatte, einen Gegenstand zu gestalten; die Bücher allein und nicht die Welt als roher Stoff konnten mir Modelle liefern; die Folge war, dass ich Plagiate beging. Mein erstes Werk benannte sich
Les Malheurs de Marguerite
. Eine heldenhafte Elsässerin, die noch dazu verwaist war, zog mit einer Schar von Brüdern und Schwestern über den Rhein, um nach Frankreich zu gelangen. Mit Bedauern erfuhr ich, dass der Strom nicht da floss, wo es zu diesem Zweck notwendig gewesen wäre, und daher blieb denn mein Roman im Anfangsstadium stecken. Dann plünderte ich
La Famille Fenouillard
aus, ein Buch, das wir zu Hause mit großem Vergnügen lasen. Herr und Frau Fenouillard und ihre beiden Töchter waren ein Negativabklatsch unserer Familie. Mama las eines Abends Papa
La Famille Cornichon
erheitert und voll Anerkennung vor;

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