Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
nach einer Melodie aus
Funiculu-funicula
sang:
Vor Stolz weiß sich die Schöne kaum zu fassen,
Die hier vor uns erscheint.
Ganz Barcelona muss vor Neid erblassen,
Denn alles ist vereint:
Die spanische Grandezza, holder Blick,
Der kühn uns anblitzt …
Als alles mich anstarrte, fühlte ich, wie meine Wangen glühten; ich stand buchstäblich Qualen aus. Etwas später nahm ich an der Hochzeit einer Cousine aus dem Norden teil; während mich jedoch meine Erscheinung bei Tante Lilis Hochzeit entzückt hatte, war ich diesmal über mein Aussehen verzweifelt. Mama kam erst am Morgen, als wir bereits in Arras waren, auf die Idee, dass mein neues Kleid aus beigefarbenem Crêpe de Chine meine Brust, die nichts Kindliches mehr hatte, in ungehöriger Weise betonte. Daraufhin wurde ich förmlich bandagiert, sodass ich den ganzen Tag das Gefühl hatte, einen krankhaften Auswuchs in meinem Mieder zu verstecken. Während der langweiligen Hochzeitszeremonie und des endlosen Festessens war ich mir nur traurig der Tatsache bewusst, die durch die Fotografien von damals bestätigt wird: dass ich nämlich – schlecht angezogen und linkisch in meinen Bewegungen – ein höchst unglückseliges Mittelding zwischen einem kleinen Mädchen und einer Frau darstellte.
Meine Nächte wurden wieder ruhiger, dafür aber verwirrte sich auf eine unerklärliche Weise die Welt. Dieser Wandel berührte Zaza nicht: Sie war eine Person und kein Objekt. In der Klasse über der meinen jedoch gab es eine Schülerin, die mir als ein schönes, blondes, rosiges Idol erschien; sie hieß Marguerite de Théricourt, und ihr Vater war der Besitzer eines der größten Vermögen von Frankreich; eine Erzieherin begleitete sie zum Unterricht in einem großen schwarzen Auto mit Chauffeur; schon als sie erst zehn Jahre alt war, kam sie mir mit ihren tadellos gelegten Locken, ihren schön gepflegten Kleidern und ihren Handschuhen wie eine kleine Prinzessin vor. Sie wurde ein hübsches junges Mädchen mit langem, blassblondem, glatt anliegendem Haar, porzellanenen Augen und einem anmutigen Lächeln; ich war sehr beeindruckt durch ihre Leichtigkeit im Umgang, ihre Zurückhaltung, ihre maßvolle, gleichsam singende Stimme. Da sie eine gute Schülerin war und es den ‹Damen› gegenüber an Ehrerbietung nicht fehlen ließ, schwärmten diese für sie, zumal der Glanz des väterlichen Vermögens sie blendete. Zu mir war sie immer sehr freundlich. Es hieß, ihre Mutter sei leidend: Diese ihr auferlegte Prüfung stattete Marguerite mit einem romantischen Nimbus aus. Ich sagte mir manchmal, dass ich, wenn sie mich einmal zu sich nach Hause einlüde, vor Freude sicher außer mir sein würde, dennoch wagte ich es nicht einmal zu wünschen. Sie wohnte für mich in Sphären, die den meinen so fernlagen wie etwa der englische Königshof. Im Übrigen wünschte ich mir nicht, intim mit ihr zu verkehren, sondern sie nur aus noch größerer Nähe bewundern zu können.
Als ich die Pubertät erreicht hatte, zeichnete sich mein Gefühl für sie noch deutlicher ab. Nach Absolvierung der dritten Klasse – die bei uns Sechs A hieß – nahm ich an der feierlichen Prüfung teil, die innerhalb des Instituts die Schülerinnen der zweiten abzulegen hatten, um als Belohnung das ‹Diplom Adeline Désir› zu erlangen. Marguerite trug ein elegantes Kleid aus grauem Crêpe de Chine, dessen durchbrochene Ärmel hübsche runde Arme durchschimmern ließen. Diese schamhaft verborgene Nacktheit machte tiefen Eindruck auf mich. Ich war zu ahnungslos und zu sehr durch Ehrfurcht gebannt, um etwa an irgendwelche Wünsche zu denken; ich stellte mir nicht einmal vor, jemand könne eine profane Berührung dieser weißen Schultern wagen; doch während der ganzen Zeit der Prüfungen ließ ich keinen Blick von ihnen, und etwas Unbekanntes würgte mich in der Kehle.
Mein Körper veränderte sich, und ebenso meine Existenz; die Vergangenheit fiel von mir ab. Schon waren wir umgezogen, und Louise hatte uns verlassen. Ich sah gerade mit meiner Schwester zusammen alte Fotografien an, als mir plötzlich klar wurde, dass ich Meyrignac einmal verlieren müsse. Großvater war sehr alt, er würde sterben; wenn der Besitz erst Onkel Gaston gehörte – der schon jetzt nominell der Besitzer war –, würde ich mich dort nicht mehr zu Hause fühlen; ich würde daselbst erst als Fremde, dann gar nicht mehr erscheinen. Ich war tief bestürzt. Meine Eltern sagten immer wieder – und ihr eigenes Beispiel schien
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