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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Zukunft mich zum Bruch mit etwas zwingen könnte: Sie sollte unbedingt meine gesamte Vergangenheit in sich aufnehmen.
    Ich hatte die Sicherheit meiner Kindheit verloren und nichts dafür eingetauscht. Die Autorität meiner Eltern war durchaus nicht geschwächt, aber meine Kritik wurde wach; ich ertrug sie daher mit ständig wachsender Ungeduld. Besuche, Familienessen, alle die lästigen Einrichtungen, die meine Eltern für unausweichlich notwendig hielten, leuchteten mir nicht als irgendwie nützlich ein. Ihre Antwort, die stets lautete: «Das gehört sich so» oder «Das tut man nicht», befriedigte mich keineswegs. Die Fürsorge meiner Mutter wirkte bedrückend auf mich. Sie hatte ihre ‹Ideen›, die sie nicht einmal zu rechtfertigen bemüht war, daher kamen mir ihre Entscheidungen häufig willkürlich vor. Wir stritten uns heftig wegen eines Messbuches, das ich meiner Schwester zur Erstkommunion zu schenken gedachte; ich wollte ein in Wildleder gebundenes, wie die meisten meiner Kameradinnen es hatten; Mama aber war der Meinung, ein blauer Leinwanddeckel sei schön genug; ich hielt ihr entgegen, dass doch schließlich das Geld aus meiner Sparbüchse mir gehöre; sie aber entgegnete, man dürfe nicht zwanzig Franc für etwas ausgeben, was man für vierzehn haben könne. Nach dem Gang zum Bäcker, bei dem wir Brot geholt hatten, verfocht ich auf der Treppe und auch noch zu Hause hartnäckig meine Meinung. Mit Ingrimm im Herzen gab ich dann doch schließlich nach, schwor mir jedoch, diesen Einspruch, den ich als Missbrauch der Macht ansah, niemals zu verzeihen. Wenn meine Mutter mir oft in dieser Weise entgegengetreten wäre, hätte sie mich, glaube ich, zu offener Rebellion getrieben. In wichtigen Dingen jedoch – meinen Studien, der Wahl meiner Freundinnen – intervenierte sie kaum; sie respektierte meine Arbeit und sogar meine Muße, insofern sie von mir nur kleine Dienste verlangte, etwa den Kaffee zu mahlen oder den Mülleimer hinunterzutragen. Ich war an Gefügigkeit gewöhnt und glaubte, dass alles in allem Gott sie von mir fordere; der Konflikt zwischen mir und meiner Mutter brach nicht eigentlich aus, ich war mir seiner nur dunkel bewusst. Aufgrund ihrer Erziehung und des Milieus ihrer Kindheit war sie überzeugt, dass für eine Frau die Mutterschaft die schönste aller Rollen ist; sie konnte sie aber nur spielen, wenn ich die meine übernahm, ich jedoch lehnte noch immer so leidenschaftlich wie mit fünf Jahren ab, in der Komödie der Erwachsenen mitzutun. Im Cours Désir wurden wir am Tage vor unserer ersten Kommunion ermahnt, uns unseren Müttern zu Füßen zu werfen und sie für alle unsere Vergehen um Verzeihung zu bitten; ich unterließ das nicht nur, sondern stiftete zur gleichen Unterlassung auch noch meine Schwester an, als die Reihe an ihr war. Meine Mutter wurde böse. Sie erriet in mir einen inneren Widerstand, der sie sehr verdross; sie schalt mich daher oft. Ich grollte ihr, weil sie mich in Abhängigkeit halten und Rechte auf mich geltend machen wollte. Im Übrigen war ich eifersüchtig auf die Stelle, die sie im Herzen meines Vaters einnahm, denn meine Leidenschaft für ihn war nur noch gewachsen.
    Je unerfreulicher das Leben für Papa wurde, desto mehr blendete mich seine Überlegenheit; diese aber hing nicht von Glück und Erfolg ab, daher neigte ich zu der Überzeugung, er habe auf diese gar keinen Wert gelegt; das hinderte mich aber nicht, sein Geschick zu beklagen: Ich hielt ihn für verkannt, für unverstanden, sah in ihm ein Opfer dunkler Kataklysmen. Umso dankbarer war ich ihm für seine noch immer ziemlich häufigen Anfälle von Heiterkeit. Er erzählte dann alte Geschichten, mokierte sich über diesen und jenen und erfand witzige Aussprüche. Wenn er zu Hause blieb, las er uns Victor Hugo und Rostand vor; er sprach von den Schriftstellern, die er liebte, vom Theater, von großen Ereignissen der Vergangenheit und sonst noch vielerlei Themen eines gehobenen Genres, sodass ich mich weit über die tägliche Misere erhoben fühlte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es noch einen ebenso klugen Mann geben könne wie ihn. Bei allen Diskussionen, die ich mit anhörte, hatte er das letzte Wort, und wenn er sich gegen Abwesende wendete, vernichtete er sie in Grund und Boden. Er trat mit Feuer für gewisse große Männer ein; diese aber gehörten Sphären an, die mir so fernlagen, dass sie mythisch für mich blieben, und im Übrigen waren sie niemals durchaus einwandfrei; sie erlagen

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