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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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das zu bestätigen –, Kinderfreundschaften hielten dem Leben nicht stand: Würde ich auch Zaza vergessen? Auch wir beide, Poupette und ich, fragten uns, ob unsere Zuneigung bis ins Alter andauern würde. Die Großen hatten an unseren Spielen und unseren Vergnügungen nicht teil. Ich kannte keine Erwachsenen, die sich auf Erden sehr zu vergnügen schienen. «Das Leben ist nicht heiter, das Leben ist kein Roman», erklärten sie allesamt.
    Die Einförmigkeit der Existenz der Erwachsenen war mir immer schon bemitleidenswert erschienen; wenn ich mir klarmachte, dass sie in Kürze auch mein Los sein würde, wurde ich von Angst gepackt. Eines Nachmittags half ich Mama beim Geschirrspülen; sie wusch die Teller, ich trocknete ab; durchs Fenster sah ich die Feuerwehrkaserne und andere Küchen, in denen Frauen Kochtöpfe scheuerten oder Gemüse putzten. Jeden Tag Mittagessen, Abendessen, jeden Tag schmutziges Geschirr! Unaufhörlich neu begonnene Stunden, die zu gar nichts führten – würde das auch mein Leben sein? Ein Bild entstand in meinem Kopf und zeichnete sich mit so trostloser Klarheit ab, dass ich mich noch heute daran erinnere: Eine Reihe von grauen Vierecken erstreckte sich, nur nach den Gesetzen der Perspektive verkleinert, bis zum Horizont, alle identisch, alle eben und platt; das waren die Tage, die Wochen und die Jahre. Ich für meine Person war bislang jeden Abend reicher eingeschlafen, als ich am Vortag gewesen war; von Stufe zu Stufe erhob ich mich; wenn ich aber da oben nur eine triste Hochebene antraf, ohne ein Ziel, auf das man zustreben konnte, wozu dann das Ganze?
    Nein, sagte ich mir, während ich einen Tellerstapel in den Wandschrank schob; mein eigenes Leben wird zu etwas führen. Glücklicherweise war ich nicht für das Dasein einer Hausfrau gemacht. Mein Vater war nicht für Frauenemanzipation; er bewunderte die Weisheit der Romane von Colette Yver, in denen immer die Advokatin oder Ärztin schließlich ihre Karriere zugunsten der Harmonie des häuslichen Herdes aufgab; aber Not kennt kein Gebot: «Heiraten, meine Kleinen», sagte er oft, «werdet ihr freilich nicht. Ich habt keine Mitgift, da heißt es arbeiten.» Ich zog bei weitem die Aussicht auf einen Beruf der auf Verheiratung vor; das berechtigte doch noch zu Hoffnungen. Viele Leute hatten große Dinge vollbracht, ich würde eben das Gleiche tun. Astronomie, Archäologie, Paläontologie hatten mich nacheinander verlockt, und immer noch spielte ich mit dem Gedanken an eine Schriftstellerlaufbahn. Aber allen diesen Plänen fehlte es an Konsistenz; ich glaubte nicht fest genug daran, um zur Zukunft Vertrauen zu haben. Im Voraus trauerte ich um meine Vergangenheit.
    Diese mangelnde letzte Loslösung zeigte sich in voller Deutlichkeit aus Anlass meiner Begegnung mit
Good Wives
, dem Roman von Louisa Alcott, der die Fortsetzung zu
Little Women
bildet. Ein Jahr oder mehr war vergangen, seitdem ich Jo und Laurie, gemeinsam der Zukunft entgegenlächelnd, verlassen hatte. Sobald ich den kleinen broschierten Tauchnitzband in Händen hielt, in dem sich ihre Geschichte vollendet, schlug ich ihn an beliebiger Stelle auf. Ich stieß gerade auf die Seite, die mir brutal eröffnete, dass Laurie eine jüngere Schwester Jos, die törichte blonde Amy, heiratet. Ich warf das Buch zur Seite, als habe ich mir die Finger daran verbrannt. Tagelang war ich niedergedrückt von dem Unglück, das mich betroffen hatte: Der Mann, den ich liebte und von dem ich mich bislang geliebt geglaubt hatte, ließ mich wegen einer Törin im Stich. Ich hasste Louisa Alcott. Später erst entdeckte ich, dass Jo ihrerseits Laurie abgewiesen hatte. Nach langem Zölibat, nach Irrtümern und nach Prüfungen begegnete sie einem Professor, der älter war als sie und sich durch hohe Qualitäten auszeichnete: Er verstand sie, tröstete sie, beriet sie, und schließlich heirateten sie. Weit besser als der junge Laurie verkörperte dieser von außen her in Jos Lebensgeschichte eingetretene Mann einer höheren Ordnung jenen obersten Richter, von dem ich eines Tages entdeckt zu werden träumte; nichtsdestoweniger erregte sein Eindringen meine Unzufriedenheit. Früher, als ich
Les Vacances
von Madame de Ségur las, hatte ich bedauert, dass Sophie nicht Paul, den Freund ihrer Kindertage, sondern einen unbekannten jungen Schlossherrn heiratete. Freundschaft und Liebe waren in meinen Augen etwas Endgültiges, Ewiges, nicht jedoch ein bedingtes Abenteuer. Ich wollte nichts davon wissen, dass die

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