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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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ich ihn. Sicherlich konnte er mich nur so tief erregen, weil mein Körper schon wach geworden war, aber jedenfalls kristallisierten sich meine Träumereien seitdem um dieses Bild; ich weiß nicht, wie oft ich es vor dem Einschlafen in mir heraufbeschwor. Ich erfand auch noch andere: Ich frage mich, woher ich sie nahm. Die Tatsache, dass Ehegatten wenig bekleidet im gleichen Bett schlafen, hatte bislang nicht genügt, mir Umarmung und Liebkosung zu verdeutlichen; ich vermute, dass ich sie aus meinem eigenen Verlangen heraus erschuf. Eine gewisse Zeit hindurch wurde ich von quälenden Wünschen verfolgt, ich wälzte mich mit trockener Kehle auf meinem Lager umher, sehnte mich nach dem Leib eines Mannes, der sich dicht an meinen presste, nach Händen auf meiner Haut. Verzweifelt rechnete ich mir aus: ‹Man kann erst mit fünfzehn Jahren heiraten!› Noch dazu war das die äußerste Grenze, ich würde also noch Jahre warten müssen, bis meine Qual ein Ende nahm! Es fing immer ganz angenehm an: Unter der warmen Bettdecke begann mein Blut zu kribbeln, meine Phantasien ließen mein Herz wonnevoll höherschlagen; ich glaubte fast, sie würden Gestalt annehmen, doch nein, sie verloren sich wieder; keine Hand, kein Mund beschwichtigte mein aufgeregtes Blut; mein Madapolamhemd wurde zum Nessusgewand. Erst der Schlaf erlöste mich. Niemals brachte ich diese Verwirrung meines Innern mit Sünde in Verbindung: Die Brutalität des Vorgangs übertraf meine Wünsche, und ich fühlte mich eher als Opfer denn als Sünderin. Ich fragte mich auch nicht, ob alle kleinen Mädchen das gleiche Martyrium an sich erfuhren, da ich nicht gewohnt war, mich mit anderen zu vergleichen.
    Wir hielten uns während der erstickenden Hitze der Julimitte bei Freunden auf, als ich am Morgen erwachte und mein Hemd beschmutzt vorfand; ich wusch mich; aber wiederum war meine Wäsche befleckt. Da ich Madeleines vage Prophezeiungen vergessen hatte, fragte ich mich, was für eine schmähliche Krankheit mich befallen hatte. Beunruhigt, halb und halb von Schuldgefühlen erfasst, wendete ich mich an meine Mutter; sie erklärte mir, ich sei jetzt ‹ein großes Mädchen›, und verpackte mich auf unbequeme Weise. Ich fühlte mich sehr erleichtert, als ich erfuhr, dass mich selbst keine Schuld traf, ja, ich verspürte sogar wie jedes Mal, wenn etwas Wichtiges mir widerfuhr, eine Art von Stolz. Ohne ein allzu großes Gefühl von Verlegenheit nahm ich hin, dass meine Mutter mit ihren Freundinnen tuschelte. Als hingegen am Abend des Tages, an dem wir zum ersten Mal wieder mit meinem Vater zusammen in der Rue de Rennes waren, dieser eine scherzhafte Anspielung auf meinen Zustand wagte, kam ich fast um vor Scham. Ich hatte mir vorgestellt, dass die gesamte Weiblichkeit solidarisch den Männern diesen geheimen Makel verschwieg. Meinem Vater gegenüber hatte ich mich immer als reines Geistwesen gefühlt; es graute mir davor, dass er mich nun plötzlich als organisches Geschöpf betrachtete. Ich kam mir gesunken vor.
    Ich wurde hässlicher, meine Nase rötete sich; auf Gesicht und Nacken bekam ich Pickel, an denen ich nervös herumkratzte. Da Mama die Arbeit über den Kopf wuchs, ging ich schlecht gekleidet; die formlosen Sachen, die ich trug, betonten mein linkisches Benehmen. Da mein Körper mich behinderte, entwickelten sich bei mir verschiedene krankhafte Aversionen; so ertrug ich zum Beispiel nicht, aus einem Glas zu trinken, aus dem schon jemand getrunken hatte. Ich bekam auch Ticks: Unaufhörlich zuckte ich mit den Schultern oder drehte an meiner Nase. «Kratz nicht an deinen Pickeln, dreh nicht an deiner Nase», sagte mein Vater immer wieder zu mir. Ohne böse Absicht, aber auch ohne Schonung, machte er über meinen Teint, meine Akne, meine Tollpatschigkeit Bemerkungen, durch die mein Unbehagen und meine Manien auf die Spitze getrieben wurden.
    Der reiche Vetter, dem Papa seine Stellung verdankte, arrangierte ein Fest für seine Kinder und deren Freunde. Dazu verfasste er eine Revue in Versen. Meine Schwester bekam eine Art Feenrolle. In einem sternenbesäten Tüllkleid und mit ihrem schönen, offen über den Rücken fallenden Haar stellte sie die ‹Königin der Nacht› dar. Nachdem sie mit einem nachtwandelnden Pierrot einen poetischen Dialog geführt hatte, stellte sie in gereimten Strophen die jungen Gäste vor, die in ihren Kostümen auf einer Estrade vorüberzogen. Als Spanierin kostümiert, sollte ich mit dem Fächer spielend vorbeistolzieren, während sie

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